Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman
im gesamten Raum verteilt waren. Zu Hause.
Ein Engel würde nur zu bald eintreffen, um die Seele mitzunehmen, die Lachlan geholt hatte, aber für den Augenblick war er allein. Er zog den Gehrock aus und warf ihn auf die Fensterbank. Zugunsten des schlagzeilenträchtigeren Busunfalls waren die Ermittlungen zum Mord an der Rothaarigen hintangestellt worden. Als er zum Brückenbogen zurückgekehrt war, um seine Habseligkeiten zu suchen, hatte das Schwert noch immer im Gebüsch gelegen und geduldig auf seinen Besitzer gewartet. Glück gehabt. Er zog die Waffe aus der Scheide und brachte sie wieder zu ihrem Ehrenplatz, einer mit Samt ausgeschlagenen Halterung über dem Kamin. Dann holte er sich ein Bier aus dem Kühlschrank und trat auf den kleinen, sonnigen Balkon mit Ausblick auf den Garten … und auf Rachel Lewis’ Apartment.
Ihr Balkon befand sich direkt unter seinem, und wenn sich Lachlan vornüberbeugte, erhaschte er kleine Einblicke in ihr Leben, die ihn neugierig machten. Jedes Apartment in dem Gebäude besaß einen Balkon, aber der von Rachel war einzigartig. Blumenkästen hingen an allen drei weiß getünchten Seiten. Ein wahrer Urwald an bunten Blüten und grünem Efeu quoll daraus hervor. Auf dem ungefähr sechs Quadratmeter großen Balkon drängten sich ein roter Liegestuhl aus Holz, ein kleiner Tisch, einige Topfpflanzen und ein Aquarium. Das Aquarium lag außer Sichtweite, aber das leise Gluckern einer Pumpe und das gelegentliche Platschen von Fischen beschworen ein lebhaftes Bild herauf. Ebenfalls ein Refugium. Eines, das Rachel oft nach einem langen Tag aufsuchte. Er erwartete nicht, sie nun dort zu sehen – nicht nach den verstörenden Ereignissen dieses Vormittags –, aber er stellte sie sich dort vor: in den Liegestuhl gelehnt, mit einem Buch in der Hand, die langen, nackten Beine ausgestreckt, das lockige Haar über die Schultern wallend.
Lachlan stürzte das kalte Bier hinunter und wünschte sich, es wäre stärker. Hatte er nicht damit aufgehört? Hatte er nicht vor drei Monaten beschlossen, dass es sinnlos war, sie auszuspionieren, da er sonst kaum besser war als ein verrückter Stalker? Auch die Phantasien von ihr aufzugeben war relativ unproblematisch gewesen – damals. Aber jetzt war alles anders. Ein simpler Händedruck hatte seine Welt aus den Angeln gehoben. Während seine Hand in ihrer lag, während zwei Herzen im gleichen Takt schlugen und sich ihre Körperwärme mit seiner vermischte, hatte er das Gefühl, vollständig zu sein. Es war, als würde sein Körper den ihren wiedererkennen. Eine seltsame Empfindung, doch unleugbar. Das Bedürfnis, Rachel in den Armen zu halten, jeden Zentimeter ihres Leibes an seinem zu spüren, hatte sich zu einem tiefen Schmerz ausgewachsen. Er sehnte sich danach, Nähe, Vertrautheit und Normalität zu erleben – wieder Verlangen und Hoffnung zu fühlen.
Aber all das hatte er niedergerungen. Er hatte kein Recht, um einen Moment in Rachels Armen zu bitten. Er musste noch einundneunzig Jahre abbüßen, und dann würde er sich seinem Schicksal stellen – wahrscheinlich in der Hölle.
Lachlan wankte ein wenig und ging zurück in sein Apartment. Fast blind fand er den Weg in das Arbeitszimmer, das sein Sofa und den Fernseher beherbergte. Der Seelenwächter sank auf das Ledersofa, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Die Vorhänge waren zugezogen, und im Halbdunkel konnte er fast so tun, als würde er die Schreie nicht mehr hören. Es waren nicht die Schreie der Jugendlichen, die in jenem Bus gefangen gewesen waren, obwohl auch sie in seinem Kopf widerhallten. Nein, die Schreie, die ihn heimsuchten, waren die flehentlichen Rufe seiner Familie. Die schrillen Laute des Grauens, das entsetzte Wehklagen und der erstickte Klang seines Namens auf ihren Lippen, während sie von den Angreifern niedergemetzelt wurden, die durch das geheime Wassertor in sein Heim eingedrungen waren.
Durch jenes Tor, das er selbst absichtlich offen gelassen hatte.
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2
D ie Vorladung erreichte ihn am nächsten Mittag.
Als die ersten düsteren Klänge der Glocke durch das Apartment hallten, erstarrte Lachlan instinktiv. Aber er schüttelte die Anspannung ab und aß das Vollkornsandwich mit Schinkenspeck, das er sich zubereitet hatte, in aller Seelenruhe auf.
Dann wusch er den Teller in der Spüle und trocknete seine Hände am Geschirrtuch ab. Erst als er sicher sein konnte, dass er sein Glück bis aufs Äußerste strapaziert hatte, schloss er die Augen und
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