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Wächter des Mythos (German Edition)

Wächter des Mythos (German Edition)

Titel: Wächter des Mythos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Saurer
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der Alte einen missmutigen Blick zu und taxierte das große goldene Kreuz an Gabriels Brust.
    »Bunas diaz, Seniore. Sie haben da einige außergewöhnliche christliche Kreuze in Ihrem Fenster …«
    »Von wegen, christliche Kreuze!«, gab ihm der Alte murrend zur Antwort. »Schon in der Frühzeit der Menschheit war das Kreuz ein Kultgegenstand. Ich habe für jeden meiner Kunden ein passendes Kreuz, auch für den Esoteriker.«
    »Was hat denn den Menschen der Frühzeit am Kreuz fasziniert?«
    »Die horizontale Linie, die für die Erde oder das Diesseits steht, und die vertikale Linie, die auf das Jenseits oder den Himmel verweist.«
    »Das ist ja interessant. Und wann tauchten dann die ersten christlichen Kreuze auf?«
    »Die Frühchristen kannten das Kreuz nicht als ihr Symbol. Es ist erst ab Ende des 4. Jahrhunderts durch die Verehrung des Kreuzes Christi aufgekommen.«
    »Mit dem hängenden Jesus daran?«
    »Das mit dem ans Kreuz genagelten Jesus nennt man Kruzifix«, gab ihm der Alte barsch zur Antwort. »Erst um 1200 verstärkte sich der Ausdruck des Leidens im Kruzifix, wie wir es heute kennen.«
    »Eigentlich ist ein ans Kreuz genagelter Jesus ja sehr barbarisch.«
    »Für den Fachmann ist die Frage, ob Jesus mit drei oder vier Nägeln ans Kreuz geschlagen wurde, sehr nützlich. Bis ins Hochmittelalter sind nämlich die Füße Christi immer nebeneinander angenagelt worden. Man ist dann zum Dreinagelkreuz übergegangen, angeblich, weil das unsere Vorstellungen von den Qualen Christi verstärkt. Also, sind Sie an einem mittelalterlichen Viernagelkreuz interessiert?«
    » Oh , nein danke«, gab ihm Gabriel mit Abscheu zur Antwort.
    »Nun, als besonders grausam galt das Aufhängen mit dem Kopf nach unten. Doch davon konnten Angehörige den Verurteilten freikaufen. Der einzige Vorteil des Kopfüberhängens war der, dass der Hingerichtete schneller ohnmächtig wurde und früher starb.«
    »Die Kreuzigung symbolisiert zwar den Opfertod von Jesus Christus, doch Kreuze ohne eine derartige Darstellung sind mir lieber.«
    »Das dachte ich mir schon. Der Zweck einer Kreuzigung war ja, die Todesqual in die Länge zu ziehen. Dank der Geschichte des Christentums wurde die Kreuzigung als Hinrichtungsart zurückgedrängt. Im Jahre 320 verbot Konstantin der Große die Kreuzigung im Römischen Reich.«
    »Dann hat die Kreuzigung Jesu ja doch etwas Positives bewirkt.«
    »Dafür wählte man im Mittelalter andere Folter- und Tötungsmethoden. Rädern und sonstige grausame Hinrichtungsarten wie Scheiterhaufen sollten Ihnen ja bekannt sein. Doch sie vermochten nicht so langsam und grausam zu töten, wie das bei einer Kreuzigung der Fall war. Je nachdem konnte es Tage dauern, bis der Tod endlich eintrat. Als Begünstigung gab es daher Methoden, um diesen Todeskampf abzukürzen. Dazu bestachen Angehörige des Gekreuzigten mitunter die Henker.
    Wie dem auch sei, ein möglichst langes, qualvolles Sterben sollte dem Verurteilten einen Vorgeschmack von der Hölle geben und den Betrachter einschüchtern und abschrecken. Daher galt im damaligen Judentum eben der als besonders verflucht, der am Holz hing.«
    »Wie: ›verflucht, wer am Holz hing‹ ?«, fragte Gabriel verwirrt.
    »Nach der römischen Hinrichtungsprozedur wurde der Angeklagte an einen Querbalken gefesselt oder auch genagelt und musste so den Weg vom Richtstuhl zur Richtstätte gehen. Dort wurde der Verurteilte dann samt Querbalken hochgehoben und mit dem bereits vorhandenen senkrechten Pfahl verbunden. So einfach hing man bei der Kreuzigung am Holz. Dass man mit einem kompletten Kreuz durch die Gegend spazierte, so, wie es sich die meisten Leute heute vorstellen, das war weder ökonomisch noch praktisch.
    Nun, da Sie ja scheinbar nicht wirklich an einem Kreuz interessiert sind, kann ich Ihnen auch noch etwas anderes verraten: Schriftrollen vom Toten Meer deuteten das Kreuz als Zeichen des Gottesfluchs. Kreuzigen war bei den Juden ursprünglich nicht üblich. Sie waren daher der Auffassung, eine derartige Todesstrafe bedeute den Ausschluss aus Gottes erwähltem Volk und Heil.
    Verflucht sei daher, wer gekreuzigt wird. Dasselbe ist in umgekehrter Reihenfolge auch mit dem Symbol des Hakenkreuzes geschehen. In Asien stellte es, nach links gewinkelt, einen Glücksbringer dar. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es dann nach dem Missbrauch durch die Nazis nicht nur bei uns Juden als Zeichen des Gottesfluchs gedeutet.«
    »Trotzdem ist das Kreuz ein würdiges Symbol«, verteidigte

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