Wächter des Mythos (German Edition)
Telefonnummern der beiden zufrieden.
Nach dem Gespräch eilte er ihnen über den langen Flur voraus, wobei jeder seiner Schritte auf dem glatten Linoleumboden ein quietschendes Geräusch von sich gab. Gabriel lag in einem Bett am Fenster, ein zweites stand frisch bezogen davor und war leer. Obwohl die weiße Jalousie der Fenster die Sonne aussperrte, wirkte der Raum lichtdurchflutet. Die gedämpften Geräusche der Stadt, die durch das offene Fenster ins Zimmer drangen, unterstrichen die Stille mehr, als sie zu stören.
Ein etwas erschöpfter und verwirrter Gabriel lag zwischen den weißen Tüchern und versuchte, sie erfreut anzulächeln. Seine linke Schulter war fest eingebunden, auch an seinem Kopf trug er einen Verband. Aus einem Plastikbeutel tropfte regelmäßig die Infusion über einen Schlauch in seinen Körper.
»In ein paar Tagen kann er das Krankenhaus schon wieder verlassen«, meinte der Arzt und fügte ernst hinzu, dass er sich dann aber noch etwas schonen müsse. Alina machte ein besorgtes Gesicht und blickte Gabriel dabei nachdenklich an.
»Wenn du nicht warten kannst, Alina«, sagte Gabriel mit schwacher Stimme, »dann geh doch schon mal ein Stück auf dem Jakobsweg voraus. Aber halte mich auf dem Laufenden, damit ich dir sobald wie möglich folgen kann.«
»Gabriel, du musst dich jetzt erst mal erholen, um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich glaube, auch ich kann ein paar Tage Ruhe gebrauchen.«
»Du solltest dich jetzt nicht in dieser Stadt aufhalten, Alina, dieser Wahnsinnige könnte dich finden. Es ist besser, du begibst dich gleich nach Spanien. Besorg dir dort einen Pilgerausweis und mach ein paar erholsame Wanderungen auf dem Jakobsweg. Übernachten kannst du ja überall in den Herbergen. Ich werde dir dann in ein paar Tagen folgen.«
Gabriel war erschöpft, das Gespräch schien ihn mehr Kraft zu kosten, als er sich eingestehen wollte.
»Hör zu, Gabriel, du brauchst im Moment noch etwas Ruhe. Es ist besser, wir verschieben alle Entscheidungen auf morgen, denn so schnell wird mich hier niemand finden können.«
Sie schwiegen einen Augenblick, dann legte Alina ihm zum Abschied die Hand auf den Arm.
»Um mich musst du dir wirklich keine Sorgen machen, versuch lieber, so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu kommen.«
Sandino wünschte ihm eine gute Besserung, und Alina warf ihm noch ein aufmunterndes Lächeln zu, dann verließen sie das Zimmer. Der Arzt begleitete sie zum Ausgang und verabschiedete sich freundlich von ihnen. Dann standen sie wieder auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus.
» Und , wohin fahren wir jetzt?«, fragte Alina unschlüssig.
»Ich könnte jetzt ganz gut einen Kaffee gebrauchen«, meinte Sandino spontan und öffnete die Wagentür auf der Beifahrerseite. »Es ist vielleicht besser, wenn Sie fahren, denn Sie scheinen sich hier in dieser Stadt besser auszukennen.«
Alina nahm die Schlüssel, setzte sich ins Auto und fuhr los. Mit der Begeisterung einer Entdeckerin fuhr sie eine Weile munter durch Avignons gepflastertes Straßenlabyrinth, vorbei an mit Zinnen bewehrten Mauern und provenzalischen Läden in den Quartieren. Dann parkten sie das Auto in einer Nebenstraße und gingen zu Fuß weiter. Nach einer Weile ließen sie sich in einem Straßencafé am Ufer der Sorgue nieder. Sie setzten sich an die Bar, Sandino bestellte eine Tasse Kaffee, während Alina plötzlich Lust auf ein Gläschen Rosé verspürte. Bald darauf nippte sie an ihrem Glas und musterte Sandino dabei nachdenklich, ohne ihr Glas abzusetzen.
»Seltsam … aber ich kann mir nicht vorstellen, was in einem Priester innerlich vorgeht. Bis heute hat mich das ja auch nicht sonderlich interessiert, aber wenn ich Sie so ansehe …« Ihr Blick wanderte von seinen eleganten Schuhen hinauf zu seinem weißen Priesterkragen.
»Wie werden Sie eigentlich mit den drei Gelübden fertig?«, platzte es aus ihr heraus, dann fügte sie entschuldigend hinzu: »Wenn ich danach fragen darf. Sie wissen ja, Frauen sind bekanntlich neugierig, ich meine, im Vergleich zu Männern.«
»Machen Sie sich da nur keine Sorgen«, beruhigte er sie und stellte seine Kaffeetasse behutsam ab. »Ich komme damit gut zu recht. Viele meiner Berufskollegen passen ihr Gelübde den Umständen an. Jeder von uns wird auf seine Weise damit fertig, denn schlussendlich ist alles eine Frage der Auslegung.«
Er hob sein Wasserglas und prostete ihr scherzhaft zu. Alina lächelte.
»Bei der Armut haben Sie sicherlich recht,
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