Wächter des Mythos (German Edition)
verstört aus dem Fenster und begann, sich ernsthaft zu fragen, wohin das alles noch führen sollte. Sie war sich jetzt auch nicht mehr so sicher, ob sie noch Lust hatte, das überhaupt herauszufinden.
Bei all dem Wahnsinn der letzten Tage und der wachsenden Angst vor der großen Gefahr musste sie Gabriel recht geben. Vielleicht war sie schon zu weit gegangen, doch sie wusste, sie werde bis zum Äußersten gehen. Und jetzt? Jetzt saß sie neben diesem attraktiven Mann, auch er ein Priester. Doch, so hoffte sie, im Kern von der guten Sorte.
»Glauben Sie an Gott?«, fragte sie Sandino unvermittelt.
Er schwieg eine Weile und Alina hatte schon den Eindruck, dass er ihre Frage ignorieren wollte.
»Ich habe gelernt zu glauben, ohne von der Existenz Gottes überzeugt zu sein.«
»Wie ist das möglich, Sie sind Priester?«, sagte sie überrascht.
»Bedaure, ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dem Arbeitgeber und meiner Überzeugung.«
»Aber Ihr Arbeitgeber ist immerhin die Kirche.«
»Die Heilige Mutter Kirche«, sagte er, ohne die Straße aus den Augen zu lassen, »ist so heilig, katholisch und apostolisch, dass sie die ursprüngliche Botschaft verraten hat. Daher das Morden, Denunzieren und Bemänteln, sobald etwas vom Ursprung ans Tageslicht kommt.« Er zuckte hilflos mit den Schultern. »Als Alternative wäre mir lieber, die Kirche würde am laufenden Band exkommunizieren. Doch wissen Sie, was dann noch übrig bliebe? Nur die Ratten zwischen den leeren Kirchenbänken.«
Beide mussten lachen, ein entspannendes Lachen, das eine Stimmung des Vertrauens schuf. Sandino parkte den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus.
* * *
Sebastianos Mobiltelefon vibrierte in seiner Tasche, erstaunt nahm er den Anruf entgegen.
»Wo sind Sie«, fauchte die Stimme von Kardinal Walter.
»Ich bin den Ketzern auf der Spur«, antwortete Sebastiano verunsichert.
»Was um Himmels willen haben Sie getan. Ein Haus angezündet, einen Mann angeschossen und mir diesen verflixten Erzbischof Sandino de Vegio auf den Hals gehetzt. Wissen Sie, was Sie da angestellt haben? Damit ist die ganze Sache zum Scheitern verurteilt. Ist Ihnen das klar?«
»Wieso zum Scheitern verurteilt, ich habe erst angefangen!«
»Hören Sie zu, Sebastiano, dieser Erzbischof ist für mich wie pures Gift, er kann uns ins Verderben stürzen. Dieser Mann ist gefährlich! Er hat den Vatikan informiert, mir sind ab sofort beide Hände gebunden.«
»Soviel ich weiß, bin ich auf mich allein gestellt, warum machen Sie sich dann Sorgen?«
»Weil Sie versagt haben, als dieser Mann bei Ihnen aufgetaucht ist.«
»Ich habe nicht versagt, noch lange nicht!«
»Hören Sie, im Moment ist es für mich politisch nicht ratsam, wenn einem dieser drei Personen etwas zustößt. Ich bitte Sie, mit der Ausführung auf einen besseren Zeitpunkt zu warten. Diesen Gabriel haben Sie ja außer Gefecht gesetzt. Heften Sie sich also dieser Alina an die Fersen. Der Priester wird von mir überwacht. Ich werde Ihnen seine Koordinaten durchgeben, sobald ich sie von unserem Techniker erhalten habe.«
Der Kardinal hatte aufgelegt, doch Sebastiano hörte noch immer den Nachhall seiner durchdringenden Stimme. Er spürte, wie seine Stimmung zu kippen begann, und fragte sich, ob der Kardinal überhaupt das Recht hatte, so zu ihm zu sprechen. Dann begann er leise zu fluchen: Wegen dieses überflüssigen Telefonats waren ihm der Priester und diese Alina entwischt.
* * *
Am Empfang des Krankenhauses mussten sie sich zuerst an den Arzt wenden, bevor man sie zu Gabriel ins Krankenzimmer ließ. Er empfing sie in seinem Arbeitszimmer, sprach mit ihnen ohne falsche Vertraulichkeit und kam dann schnell zur Sache. Wie man sie auf der Polizeistation bereits informiert hatte, war Gabriels Zustand nicht beängstigend, denn es handelte sich um einen glatten Durchschuss.
Außer Muskelgewebe war nichts ernstlich verletzt worden. Beim Fallen hatte er sich eine Kopfverletzung zugezogen und auf dem Weg zum Krankenhaus viel Blut verloren. Dieser Sturz war der Grund für die zeitweilige Bewusstlosigkeit gewesen.
Dann stellte der Arzt ein paar neugierige Fragen, da die Polizei mit ihm über den Vorfall gesprochen hatte und befürchtete, dass dieser Unbekannte seinen verfehlten Anschlag wiederholen könnte. Ein wenig unwohl schien dem Arzt bei der ganzen Sache wohl zu sein. Um diesen Eindruck aber nicht zu vermitteln, gab er sich betont professionell mit einer Notiz zu den Namen und
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