Wächter
»Weil einer davon nämlich uns gehört.«
Sie unterhielten sich noch über technische Dinge und wie sie alle mit der Situation zurechtkamen.
Es war, als ob der letzte Sommer des Mars stark verkürzt worden wäre. Die Sonne war zwei Monate vor dem Mittsommer verschwunden, und nun hatte bereits der letzte Winter des Planeten begonnen.
Im Grunde machte das aber kaum einen Unterschied hier am Pol, wo es die Hälfte der Zeit sowieso dunkel war. Was Myra wirklich vermisste, waren die regelmäßigen Film-und Nachrichtendownloads von der Erde und die Briefe von zu Hause. Sie vermisste die Erde nicht so sehr wie die Post.
Wenn es eine winterliche Routine gab, in die man in Wells fallen konnte, so waren sie nicht an die Dunkelheit unten in Lowell in der Nähe des Äquators gewöhnt. Deshalb war es auch ein Schock, als dort Schnee fiel. Sie hatten keine Ausrüstung dabei, die fürs Überleben erforderlich gewesen wäre. Also hatten Juri und Myra einen der zwei Schneepflug-Rover der Polstation mit Sublimierungsmatten und anderen wichtigen Ausrüstungsgegenständen beladen. Einen Rover überließen sie der Besatzung von Lowell und fuhren dann mit dem anderen den ganzen Weg zurück nach Wells. Diese Reise, deren einfache Strecke über ein Viertel des Planetenumfangs durch Trockeneis-Schneefall führte, hatte sie regelrecht betäubt, deprimiert und erschöpft. Myra und Juri hatten die Basis seitdem auch nicht mehr verlassen.
»Wir sprechen uns wieder«, sagte Paula. »Passt auf euch auf.« Ihr Bild verschwand.
Myra schaute Juri an. »Das war es also.«
»Wieder an die Arbeit«, sagte er.
»Zuerst einen Kaffee?«
»Gib mir eine Stunde, und wir werden das Gröbste für heute erledigen.«
»Gut.«
Die alltägliche Arbeit war seit der endgültigen Evakuierung deutlich erschwert. Ohne die planmäßige Versorgung mit Vorräten und Ersatzteilen drohte nicht nur der Atomreaktor zu versagen, sondern auch ein Großteil der anderen Ausrüstung. Zumal sie auch nur noch zu zweit in einer für zehn Personen ausgelegten Basis waren. Obendrein hatte Myra keine einschlägige Erfahrung, aber sie lernte schnell.
Myra hatte sich in die Arbeit gestürzt. An diesem Morgen kümmerte sie sich um verstopfte hydroponische Rabatten, reinigte den verschlammten Bio-Reaktor und versuchte zu ermitteln, weshalb die Wasserextrahierungsanlage ständig ausfiel. Sie beschäftigte sich auch mit der KI und sortierte die Flut wissenschaftlicher Daten, die noch immer von den SEPs, Tumbleweed-Kugeln und Staubteilchen eingingen - auch wenn immer mehr Sensoren durch verschiedene Defekte ausfielen oder einfach eingeschneit wurden.
Die KI vermochte überwiegend selbstständig zu arbeiten und sich sogar eigene wissenschaftliche Ziele zu setzen, die sie dann anhand selbst entwickelter Programme verwirklichte. Doch heute war PSP-Tag, planetarischer Schutz: Sie musste ihre regelmäßige formelle Inspektion durchführen, um die ordnungsgemäße Probenentnahme in einem Radius von ein paar Kilometern um die Station sicherzustellen und das »Einsickern« ihrer menschlichen Präsenz auf dem Mars zu kontrollieren. Es gab sogar ein Papier, das sie hätte unterzeichnen und an eine Instanz auf der Erde übermitteln müssen. Das Papier würde die Erde natürlich nie mehr erreichen, aber sie unterschrieb es trotzdem.
Nach ungefähr einer Stunde beauftragte sie die KI mit der Suche nach Juri. Er hätte eigentlich draußen im Bohrturm-Zelt sein und die Ausrüstung einmotten sollen, die nun endgültig
abgeschaltet worden war. Damit erfüllte er ein Versprechen, das er Hanse Critchfield gegeben hatte. Tatsächlich war er aber in Büchse Sechs , der Außeneinsatz-Station.
Sie kochte Kaffee und brachte ihn vorsichtig durch die Schleusen zu Sechs. Sie hatte die Becher mit einem Deckel verschlossen; sie kam immer noch nicht damit zurecht, dass der Kaffee unter der Ein-Drittel-Schwerkraft schwappte wie ein Sturm im Wasserglas.
Sie sah Juri auf dem Boden von Sechs knien. Er war mit einem »Cockell pulk« zugange, einem einfachen Zugschlitten; das Gerät war an die Bedingungen auf dem Mars angepasst und mit ausklappbaren Rädern für die Fahrt über das steinharte Wassereis ausgerüstet. Er belud diesen Schlitten mit einem Faltzelt, Proviantpaketen und ein paar Ausrüstungsgegenständen, die aus einem Lebenserhaltungssystem zu stammen schienen.
Sie reichte ihm seinen Kaffee. »Was nun?«
Er setzte sich auf und nippte am Getränk. »Ich habe ein unerfülltes ehrgeiziges Ziel.
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