Wächterin der Träume
nach, wie er davonging. Mir schwirrte der Kopf. Was zum Teufel war da gerade passiert? War das hier Wirklichkeit oder nur ein Traum? Und konnte mein Leben noch stärker aus den Fugen geraten?
Die Antwort lautete: Ja. Und damit wusste ich auch die Antwort auf Vereks Angebot. Natürlich fand ich es verlockend, mit ihm zu spielen, aber nicht verlockend genug. Obwohl meine dunkle Seite – oder vielleicht einfach das Traumwesen in mir – ihm am liebsten wie eine Löwin nachgejagt wäre, um ihn zur Strecke zu bringen.
Es gab nur einen, an den ich mich verlieren wollte, nur einen einzigen, der es wert war, und das war Noah.
Ich konnte nur hoffen, dass ich mein Glück bei ihm nicht schon verspielt hatte.
Am nächsten Tag traf ich mich erneut mit Antwoine zum Mittagessen. Ich brauchte etwas, um Vereks Geschmack in meinem Mund loszuwerden. Schlimm? Kann sein, aber so war es nun einmal.
Auf dem Weg zu meiner Verabredung mit Antwoine rief ich Noah auf seinem Handy an. Ich ging gerade die Madison Avenue hinauf, und der Straßenverkehr dröhnte so laut, dass ich es kaum hörte, als sich am anderen Ende die Mailbox meldete. Wollte er nicht mit mir sprechen? Vielleicht, aber wahrscheinlich war er nur bei der Arbeit.
Ich hinterließ ihm keine Nachricht. Ich hätte nicht gewusst, was ich sagen sollte, ohne mich zu blamieren, also schaltete ich ab und steckte das Telefon in das Seitenfach meiner Handtasche. Falls ich den Mut fand, würde ich es später noch einmal versuchen.
Was hatte ich mir bloß dabei gedacht, mit ihm Schluss zu machen? Gemeinsam waren wir stärker als allein. Jedem halbwegs intelligenten Menschen musste klar sein, dass ich ihn nur deshalb verlassen hatte, weil ich Angst um ihn hatte. Aber sie würden ihn trotzdem nicht in Ruhe lassen. Allerdings würde ich es jetzt, nachdem ich seinen Stolz verletzt hatte, erst erfahren, wenn es zu spät war.
Das Erlebnis mit Verek hatte mir gezeigt, wie sehr ich Noah vermisste. Verek hatte mir auch gezeigt, dass es kaum einen Unterschied zwischen einer Rangelei und einem Vorspiel gab. Ich wollte unbedingt herausfinden, ob sich Noah im Kampfsport ebenso gut auskannte.
Ich betrat das kleine Restaurant und setzte mich gerade auf meinen Lieblingsplatz, als Antwoine hereinkam.
»Es wird ja richtig zur Gewohnheit, dass wir beide zusammen essen gehen«, bemerkte er, als er mir gegenüber Platz nahm.
Ein wenig gezwungen erwiderte ich sein Lächeln. »Danke, dass du so kurzfristig kommen konntest.«
»Ich hatte den Eindruck, es ist wichtig.« Als er mich so warmherzig und besorgt anblickte, konnte ich einfach nichts Schlechtes von ihm denken. »Was ist los, kleine Dawn?«
Genau in diesem Augenblick erschien die Kellnerin und fragte nach unseren Getränkewünschen. Ich bestellte eine Diät-Cola, und da wir auch schon wussten, was wir essen wollten, bestellten wir Suppe und Sandwiches gleich mit.
Als wir wieder allein waren, wandte ich mich an meinen Freund. »So einiges. Erstens, Morpheus wird nichts dagegen unternehmen, dass du dich mit Madrene triffst.«
Zu behaupten, Antwoine sei überrascht gewesen, wäre untertrieben. »Tatsächlich?«
Ich nickte. »Unter der Voraussetzung, dass Madrene ihre Pflichten als Sukkubus nicht vernachlässigt, ist es ihm egal, wie viel Zeit ihr miteinander verbringt.« Ich war nicht sicher, ob das wirklich stimmte, aber egal.
»Na so was«, murmelte er. »Damit habe ich nicht gerechnet.«
Ich breitete die Serviette auf dem Schoß aus und strich sie umständlich glatt, damit ich ihn nicht anzusehen brauchte. »Antwoine, ich weiß, dass Morpheus und Madrene früher einmal zusammen waren. Padera ist meine Halbschwester.« Erst als die Worte heraus waren, blickte ich auf.
Der ältere Mann war sichtlich blass geworden. »Na, darauf war ich jetzt auch nicht gefasst«, krächzte er.
Ich glaubte ihm. »Deswegen hat es zwischen euch böses Blut gegeben, nicht? Du hast ihm Madrene weggenommen.«
Er nickte langsam. Ich sah, wie seine Wangen wieder Farbe bekamen. »Das ist zum Teil richtig, aber Padera war schon erwachsen, als ich auf der Bildfläche erschien. Und Madrene hätte sich nie mit mir eingelassen, wenn sie glücklich gewesen wäre.«
Das stimmte. So wie meine Mutter ihre Familie nicht verlassen hätte, wenn sie dort glücklich gewesen wäre.
»Antwoine …« Ach Gott, wie sollte ich es nur sagen? Ich rückte näher an den Tisch heran. »Ich muss wissen, ob du oder Madrene mit der Obersten Wächterin im Bunde seid.«
Er runzelte
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