Wächterin der Träume
zeigte einen Kreis mit zwei Halbmonden darin, deren Spitzen nach außen gekehrt waren. Ich wusste nicht, was es bedeutete, doch es war unschwer zu erkennen, dass es Phil in dieser Welt Macht verlieh.
Kraft strömte durch meine Adern und erfüllte mich mit wilder Freude. Jetzt hatte ich die Oberhand und prügelte gnadenlos auf mein Opfer ein. Doch auch Phil gelang es, mir noch einige kräftige Schläge zu versetzen. Aber dann packte ich den Anhänger und drückte zu.
Augenblicklich zerbrach er unter meinen Fingern. Wahrscheinlich hätte ich in diesem Moment Diamanten zermalmen können. Mit meiner schmerzenden, blutigen Hand umfasste ich Phils Kinn und zwang ihn, mich aus seinen zugeschwollenen Augen anzusehen.
»Hey, Phil.« Wegen der geschwollenen Lippen klang meine Stimme undeutlich. Vielleicht hatte er mir den Kiefer gebrochen, aber darum würde ich mich später kümmern.
Er blickte mich an und krauste die Stirn, als er meine Augen sah – sie waren blassblau mit spinnenbeindünnen dunklen Rändern um die Iris. »Was, zum Teufel …«
Ich konnte nur mit einem Mundwinkel grinsen. »Was ist dein schlimmster Alptraum?«
Plötzlich sah ich es so deutlich vor mir, als hätte er seine Brieftasche aufgeklappt und mir ein Foto gezeigt. Es würde ganz schön schaurig werden, aber das war mir egal. Ich konzentrierte mich auf das Bild – und seine Angst davor. Ich hatte noch nie gehört, dass Angst einen Nachtmahr anmachte, aber mir ging es jetzt so. Zumindest, wenn es Phils Angst war.
Mutter.
Es überlief mich wie eine Woge. Meine Haut kribbelte, als wäre mein ganzer Körper eingeschlafen gewesen, und das Blut ströme nun in die Glieder zurück. Ich verwandelte mich in das, was Phil am meisten fürchtete.
Und das war seine Mutter, die ihn noch im Tod beherrschte und Rache dafür nahm, dass er sie umgebracht hatte.
Meine Haut fühlte sich an, als wäre sie eingeschrumpft und straff gespannt. Ich war vertrocknet und morsch, leicht und nahezu skelettartig. Der Schmerz in Kiefer und Auge war weg. Stattdessen fühlten sich meine Augäpfel an wie Rosinen, die in viel zu großen Höhlen herumkullerten.
Bleich wie ein Geist, krümmte sich Phil unter mir und starrte mich aus riesigen, angsterfüllten Augen an. Es kam mir so vor, als hätte er sich in die Hosen gepinkelt – zumindest roch es danach. Zum Glück konnte ich es in meinem jetzigen Zustand nicht an meiner Haut spüren. Mir war nicht viel Fleisch geblieben, und Nerven gehörten ebenfalls der Vergangenheit an.
»Du elender kleiner Taugenichts«, sagte ich. Da ich auch keine Lippen mehr besaß, kamen die Worte ein wenig steif und lispelnd heraus. Es klang wie aufgehängte Wäsche, die im Wind raschelt.
Phil versuchte mich wegzuschieben, doch das hatte so viel Wirkung, als wolle eine Motte einen Felsbrocken bewegen. Ich spürte den Druck kaum, doch irgendetwas an mir schien auf einmal lose zu sein. Ich versuchte, mich davon nicht ablenken zu lassen.
»Mama?«, quiekte er.
Mit krachenden Gelenken beugte ich mich erneut zu ihm hinunter. Meine von hauchdünner Pergamenthaut bedeckten Knie schrammten über den Teppich. »Na, wie ist es?«, sagte ich höhnisch. »Bekommt deine Mutter kein Küsschen?«
Als Phil zurückschrak, setzte ich hinzu: »Früher mochtest du es gern, wenn ich dich küsste.«
»Nein, nie«, flüsterte er. »Ich fand es immer schrecklich.«
»Lügner! Die erste Puppe, die du gemacht hast, hatte mein Haar, von meinem Kopf und meiner Muschi.« Das war schon sehr heftig, aber ich machte trotzdem weiter. »Ohne mich wärst du nichts. Und ohne mich bist du auch nichts.«
Er schüttelte den Kopf. Vor Entsetzen hatte er Tränen in den Augen. Fast hätte ich ein schlechtes Gewissen bekommen. Aber nur fast.
»Was für eine Enttäuschung«, sagte ich traurig und ließ meine Zähne klappern.
Da drehte Phil durch und brüllte mich wütend an. Wie verrückt lachend brüllte ich zurück. Dachte dieser kleine Scheißer etwa, er könnte so mit mir umspringen?
Mit allen möglichen obszönen Gesten und Bemerkungen rieb ich mich an seinem Körper und tat so, als würde ich ihn reiten. Irgendwann begann er zu weinen. Als er schließlich nur noch sabberte und lallte, erkannte ich, was ich getan hatte – er war übergeschnappt, nicht mehr vorhanden, auch wenn sich sein Körper noch immer wehrte. In meinem Kopf breitete sich Dunkelheit aus, und ich spürte förmlich, wie ich das Bewusstsein verlor. Ich wollte nicht ohnmächtig werden in dieser
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