Wächterin der Träume
ganzen … Bescherung.
Lieber Gott. Jemand sollte mir helfen.
Plötzlich, wie zur Antwort auf mein stummes Gebet, vernahm ich über mir eine vertraute Stimme.
»Was ist denn hier los?«
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Kapitel sechzehn
N oah. Es war Noah. Ich musste nach ihm gerufen haben, und wundervoll, wie er war, hatte er darauf reagiert und sich in meinen Traum hineinziehen lassen. Seine Anwesenheit brachte mich wieder zur Besinnung.
Ich verwandelte mich zurück, einfach, indem ich daran dachte und es geschehen ließ. Es tat ein bisschen weh, aber nicht sehr. Als ich auf dem Boden sitzend aufblickte, begegnete ich dem undurchdringlichen Blick des Mannes, den ich über alles liebte. »Noah, das hier ist Phil. Die Oberste Wächterin ließ ihn in meinen Traum eindringen, damit er mich vergewaltigen konnte.«
Noahs Miene als mörderisch zu bezeichnen wäre noch untertrieben. Es ging weit darüber hinaus. Bevor sich Phil rühren konnte, versetzte ihm Noah einen Tritt in die Rippen.
»Du verdammter Dreckskerl!«, brüllte er. Mit einigen weiteren Tritten sorgte er dafür, dass der Vergewaltiger nicht mehr aufstehen konnte – wozu er allerdings auch vorher schon nicht mehr in der Lage gewesen war. Phils glasigem Blick nach zu urteilen, hatte ich sein Gehirn ganz schön durcheinandergebracht. Auch Noah schien das zu bemerken – vielleicht auch, weil Phil so sabberte –, jedenfalls hörte Noah auf, ihn zu treten, und wandte sich zu mir um.
»Was, zum Teufel, war denn das?«, fragte er und half mir beim Aufstehen. »Du sahst ja aus wie ein verdammter Zombie.«
»So was Ähnliches war ich auch.« Weil es in meinem Kiefer pochte, musste ich langsam und vorsichtig sprechen. »Ich war seine Mutter. Er hat noch immer eine Wahnsinnsangst vor ihr, obwohl er sie umgebracht hat.«
Noah schwieg, aber nur kurz. »Mein Gott, Doc, manchmal jagst du mir direkt Angst ein.«
Ich verspürte einen kleinen Stich im Herzen. »Manchmal habe ich auch Angst vor mir selbst.«
Um seine Worte wiedergutzumachen, nahm er mich in die Arme. »Ich bin froh, dass du so etwas kannst, ganz egal, wie unheimlich es ist.« Um mein Auge und den Kiefer zu schonen, küsste er mich nachdrücklich auf die Stirn.
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte ich. Mein Kiefer war jetzt fast völlig steif. Ich musste mich unbedingt selbst heilen – wenn ich mich nur richtig darauf hätte konzentrieren können. Es war im Grunde nicht schwer, aber ich fühlte mich so erschöpft, als hätte ich versucht, ein Haus hochzuheben. »Woher wusstest du es?«
Er strich mir das Haar aus der Stirn. »Keine Ahnung. Ich merkte nur, dass du in Schwierigkeiten stecktest und ich zu dir musste.« Das bewies, dass er mehr war als nur ein luzider Träumer. Er gehörte zu den Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Kein Wunder, dass ich mich zu ihm hingezogen fühlte.
Und er war mir zu Hilfe geeilt. Bei dem Gedanken musste ich lachen – es tat weh, aber schon nicht mehr so sehr. Also begann mein Körper offensichtlich zu heilen.
»Was ist daran so lustig?«, fragte er, aber ohne jede Schärfe.
Ich blickte in seine schönen schwarzen Augen. »Ich wollte mit dir Schluss machen, weil ich dachte, du wärst in dieser Welt zu verletzlich. Und jetzt musstest du mich retten.«
An seinem Grinsen sah ich, dass meine Bemerkung ihm viel bedeutete. »Du hast dich doch tapfer geschlagen.«
Mein Lachen erstarb, als ich daran dachte, was ich getan hatte. »Ich hatte Angst.« Angst vor Phil. Angst vor der Obersten Wächterin. Angst vor mir selbst.
Wieder nahm Noah mich in den Arm. »Jetzt bist du in Sicherheit.«
Für einen Augenblick glaubte ich ihm, doch ich wusste, es würde nicht von Dauer sein. Langsam atmete ich ein und aus und ließ meine Verletzungen rasch heilen, damit ich für das, was jetzt kam, bereit wäre. Die Heilung ging überraschend leicht vonstatten – eine Folge der Kraft, die mich zuvor überkommen hatte.
Ich nahm Noahs Gesicht in beide Hände und genoss das Gefühl seiner Bartstoppeln an meiner Haut. Ich zog seinen Kopf zu mir herab und küsste ihn. Seine Lippen waren fest und glatt und öffneten sich ohne Widerstreben meiner Zunge. Seufzend schmeckte ich ihn. Es war, als käme ich nach Hause. Jetzt übernahm er die Initiative, umschlang mich fest mit seinen warmen, kräftigen Armen und gab mir einen feuchten, drängenden Kuss auf den Mund. Stöhnend – vor Vergnügen, nicht vor Schmerz – überließ ich mich ihm.
Als wir uns trennten, ging unser Atem ein wenig schwerer.
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