Während die Welt schlief
tobte, schweißte uns zusammen, in einer wundervollen Verbindung zwischen Mutter, Tochter und Freundin.
»Weißt du«, begann Huda, »Fatima hat mir geschrieben und von dir und Majid erzählt. Sie war so glücklich.« Dann senkte sie den Blick. »Aber ich habe den Brief erst viele Monate später bekommen, bis … nachdem …«
»Hast du den Brief noch?«
»Na klar! Hier ist er, bei allen meinen wichtigen Papieren.« Huda holte das Päckchen aus der Brusttasche ihrer Thoba heraus.
Sie entnahm ihm einen gefalteten, orangefarbenen Zettel, und ich erinnerte mich an den orangefarbenen Schreibblock, den Fatima in ihrem Küchenschrank aufbewahrt hatte – ein Detail meines Aufenthalts im Libanon, das sich in mein Gedächtnis eingegraben hatte.
Ich faltete das Blatt Papier auf und las, dass Filastin große Fortschritte machte. Dass Yussuf zu viel arbeitete und sich zu viele Sorgen machte und dass sie so glücklich über meinen Besuch bei ihnen im Libanon waren. Der Brief erzählte auch von Majid und mir. Fatima rühmte ihr Geschick als Heiratsvermittlerin. Sie hatte gerade von ihrer zweiten Schwangerschaft erfahren und schrieb: »Du wirst es kaum glauben, aber Amal ist auch schwanger. Sie entbindet im September, genau wie ich.« Sie erzählte auch, wie sehr sie Huda und ihre in Palästina zurückgebliebene Familie vermisste. »Eines Tages«, schloss sie,
Insha’allah. Ya Rabb, eines Tages werden wir wieder vereint sein. Wir alle. Yussuf, die Kinder und ich. Amal und Majid und ihre Kinder, Osama und Du und Eure. Ich träume von diesem Tag.
Alles Liebe
Fatima
Am siebten Tag nahmen sie Mansur mit. Soldaten sprengten das Schloss an der Metalltür und stürmten herein. Während zwei Soldaten das Haus auf den Kopf stellten, verlangte ein anderer von Mansur, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen. Wir schauten weg, versuchten vergeblich, ihm einen Rest Würde zu lassen. Schließlich verbanden sie ihm die Augen und legten ihm Handschellen an. Als sie ihn hinausführten, lagen überall im Haus seine Zeichnungen herum, und Mansur hüllte sich in sein Schweigen wie in einen Mantel.
»Allah sei mit dir, mein Sohn«, sagte Huda. Ohne zu weinen. Ich glaube, sie hatte keine Tränen mehr übrig. »Mansur wird zurückkommen. Sie werden ihn zusammenschlagen. Das machen sie immer so. Und er kommt immer zurück«, fügte sie hinzu, um sich selbst zu beruhigen.
Immer ist ein Wort, an das man sich klammern kann.
Wir stapelten Mansurs Zeichnungen zu einem kleinen Haufen. Das war die Welt, so wie er sie sah: Huda betend, Sara in meinen Armen, Jamil siegreich im Kampf, Saras Silhouette, wir drei, über eine kleine Mahlzeit gebeugt, während der Todesengel über uns wachte.
Wir hatten nur noch sehr wenig Wasser und fast kein Brot mehr. Was war geschehen? Wir wagten nicht, die Sandsäcke vor den Fenstern zu verrücken, um einen Blick hinauszuwerfen, und wir hatten zu viel Angst, uns der zerstörten Metalltür zu nähern, in der jetzt ein Loch klaffte.
Aber es war still. Schon seit einer ganzen Weile. Bald würden sie mit Lautsprechern durch das Lager ziehen und uns erlauben, die Häuser zu verlassen. Sie taten es aber nicht, und wir hatten weder Wasser noch Brot. Wir dachten, dass bestimmt bald jemand die Toten wegräumen würde. Die unsichtbaren Leichen zwangen uns, durch ein in Rosenwasser getränktes Tuch zu atmen.
Der Geruch wurde unerträglich. Laut der Zeichen, die wir auf die Wand malten, waren seit dem Ende der Bombardierung zwei Tage vergangen. Durch das Loch in der Metalltür konnten wir aber nichts sehen. Eine unendlich große Staubwolke, die von den zerstörten Häusern aufstieg, hing in der Luft.
Wir zerbrachen die Flasche mit dem Rosenwasser, leckten die letzten Tropfen auf und legten uns zur Ruhe. »Die Welt kann doch nicht zulassen, dass das so weitergeht«, sagte ich zu Huda.
»Die Welt?«, entgegnete Huda in einem sarkastischen und verbitterten Ton, den ich von ihr nicht kannte. »Seit wann schert sich ›die Welt‹ um uns? Du warst zu lange weg, Amal. Schlaf weiter. Du bist eine Amrikiyya geworden.« Damit zog sie sich das Betttuch über die Nase und schloss die Augen. Am nächsten Morgen stieg die Sonne über dem Dunst eines dezimierten Flüchtlingslagers auf. Ich hörte das Geräusch eines großen Fahrzeugs. Ein Rettungswagen des Roten Halbmonds. Ich schrieb den anderen eine Nachricht, dass ich von einem Hilfsgüterwagen Vorräte holen würde. Dann trat ich hinaus und musste die Hand vor das Gesicht halten,
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