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Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Titel: Wände leben - Samhain - Ferner Donner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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sehen, wenn er den Kofferraumdeckel öffnete. Irgendwie lag der Mörder immer noch da drin. Und irgendwie saß er auch am Steuer des Wagens.
    Rick glaubte kaum, dass er das „Wie“, das sich in dem „Irgendwie“ versteckte, jemals erfahren würde.
    Und was als nächstes geschah, ließ ihn an allem zweifeln, was er in seinem jungen Leben erlebt, gelernt und zu wissen geglaubt hatte.
    Ehe er den Kofferraum öffnen konnte, startete der Motor. Er sah nicht, ob sich der Zündschlüssel dabei drehte, und es war auch nicht wichtig. Rick zog die Hand vom Griff zurück, als fürchte er, bei der Berührung einen Stromschlag zu bekommen. Mit einem Ruck fuhr der Wagen an, die Reifen kreischten, und die noch offen stehende Beifahrertür wurde durch den Schwung des Anfahrens zugeschlagen.
    Rick Aufdemberg stand fassungslos auf der Bundesstraße und sah dem silbernen Sportwagen nach, der immer mehr Fahrt bekam.
    Wie lange er so dort stand, wusste er nicht. Das Hupen der vorbeirauschenden Autos drang nicht mehr bis zu ihm durch.
    Erst als ein Kleinwagen, dessen Fahrer ihn spät gesehen hatte, mit quietschenden Bremsen haarscharf an ihm vorbeijagte und beinahe mit einem anderen Fahrzeug kollidiert wäre, das auf der Überholspur herangeschossen kam, erinnerte er sich, wo er sich befand.
    Er stürzte über die Standspur, erklomm die grasbewachsene Böschung und ließ sich zu Boden fallen. Alles drehte sich. Er brauchte Minuten, um so weit zu Besinnung zu kommen, dass ihm die PIN-Nummer für sein Handy wieder einfiel.
    Aber was half ihm die PIN-Nummer, wenn er nicht wusste, was er seinen Kollegen erzählen sollte?

2
    Der Ferrari setzte den Weg fort, den Rick Aufdemberg eingeschlagen hatte. Führerlos erreichte er die A 96, jagte nach Norden und wechselte schließlich auf die A 7, die ihn in Richtung Ulm brachte. Der Wagen fuhr unauffällig und ruhig, wenn auch durchweg mit überhöhter Geschwindigkeit. Fast die ganze Fahrt über blieb er auf der Überholspur.
    Hätte ein Mensch am Lenkrad gesessen, er hätte das Wageninnere kaum mehr wiedererkannt. Die Armaturen lebten. Vom Drehzahlmesser her schlugen langsame Wellen über die Oberfläche aus Metall, Glas und Kunststoff. Er war zu einer Art Herz geworden, zog sich zusammen und dehnte sich aus. Das satte Ferrari-Rot, das den Hintergrund der Anzeigen bildete, glänzte, als wären die Armaturen von Blut überströmt. Zwischen den Anzeigen entstanden feine Verbindungen aus einem Adergeflecht. Fächer und Ablagen bewegten sich wie Münder oder Herzkammern. Der Schalthebel zuckte, und seine Basis war ein knotiges Gebilde aus Sehnen und Blutgefäßen. Die Fenster waren hochgefahren, die Ventilation dafür geöffnet, und aus der Heizung drang ein hohles Röcheln wie das eines erstickenden Menschen.
    Von Ulm aus ging die Fahrt nach Westen weiter. Auf den Landstraßen wurde das Verhalten des Ferraris aggressiver, er wurde dreimal bei automatischen Geschwindigkeitskontrollen geblitzt und vollführte ein riskantes Überholmanöver nach dem anderen. Als der Wagen in die schwäbische Kleinstadt Reutlingen einfuhr, war sein Inneres ein chaotisches Gewirr aus zuckenden und pulsenden Bewegungen. Jeder Bestandteil des Innenraumes hatte sich verändert, hatte Ähnlichkeit zum Körperinneren eines Menschen angenommen, ohne sein technisches, anorganisches Äußeres dabei ganz zu verlieren. Glatte Oberflächen waren mit Poren und Adern versetzt, doch noch immer war das Fahrzeug ein Fahrzeug, das Lenkrad ein Lenkrad, und obwohl die Tachometernadel wie ein langer Fingernagel über den roten Hintergrund kratzte, zeigte sie nach wie vor die Geschwindigkeit an. Je langsamer der Wagen fahren musste, desto mehr Spannung und Unruhe sammelte sich in seinem Inneren an. Es war, als würde das Auto zusehends nervöser. Während es an roten Ampeln wartete, wand sich der Knoten unter dem Schalthebel wie ein Tier im Todeskampf.
    Zwei Kinder warfen vom Gehsteig aus einen Blick in das Wageninnere. Einer der beiden lief entsetzt weg, während der andere immer näher kam, sogar einen Schritt auf die Fahrbahn wagte und seine Hände nach der Tür ausstreckte. Ehe er sie berühren konnte, wechselte die Ampel, und kaum war das gelbe Licht unter dem roten aufgeflammt, bäumte sich der Ferrari unter einem Kavaliersstart auf.
    Sein Ziel war ein Gymnasium im westlichen, Tübingen zugewandten Teil. Der Wagen rollte auf einem Parkplatz aus, der zwanzig Meter von der dunklen Vorderfront des Schulgebäudes entfernt lag,

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