Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)
flachen Land, wo nix groß ist und es nichts zu kaufen gibt, war so ein Protest ja vergleichsweise abstrakt. In der Stadt, in die wir deshalb extra Ausflüge machten, war das zur Schau gestellte Nichts-Kaufen dagegen irgendwie eine Provokation, eine Art Widerstand. Ohnehin haben mir immer die Formen des Protests am besten gefallen, die im wesentlichen aus Nichtstun bestehen. Doch das ist noch mal eine andere Geschichte.
Wir waren damals sehr konsequent in unserer Haltung, also dem Nichts-Kaufen. Es gab eigentlich nur eine Ausnahme, die wir uns ab und an gestattet haben. Das war immer dann, wenn mal einer aus irgendwelchen Gründen Geld hatte, dann durfte das ausgegeben werden. Aber sonst haben wir konsequent nichts gekauft, stattdessen nur so rumgesessen. In stolzer, stilvoller Lässigkeit, jedoch innerlich aufrecht, halb liegend rumgelungert. Durch unsere langen Haare wirkten wir dabei natürlich großstädtisch, weshalb alle Dorfkinder, die in die Stadt kamen und uns sahen, dachten: Boarh, die coolen Großstadtkinder! Jetzt lass ich mir auch die Haare lang wachsen, dann kann ich demnächst auch da sitzen und keiner merkt, dass ich eigentlich vom Dorf bin. So, wie wir es einige Zeit zuvor ja auch gedacht hatten. Unsere Betten standen zwar noch in den Kinderzimmern unseres Dorfes, aber in unseren Großstadtfrisuren wohnte bereits ein ganz anderes Leben. Also gut, teilweise waren sie tatsächlich so zottelig und ungepflegt, dass da in der Tat noch mal ein anderes, neues Leben entstanden war, aber das waren nur lästige Nebenprodukte unserer Träume. Unsere Haare waren unser Ticket, unsere Verbindung in eine andere Welt.
Das alles muss man wissen, um zu verstehen, was es für mich bedeutete, als Marion Minzer zu mir sagte, sie könne sich nicht vorstellen, einen Freund mit langen Haaren zu haben. Noch am selben Nachmittag schnitt ich mir die Haare ab, um Marion am Abend auf ihrer Geburtstagsparty zu überraschen. Ihr auf diese subtile Weise eine Art Antrag zu machen. Woraufhin sie auch sagte: «Coole Frisur!», aber dann doch, noch auf derselben Party, eine Beziehung mit Bernd Kohlmeyer anfing, der natürlich Haare bis zu den Hüften hatte.
Was nun habe ich daraus gelernt?
Nichts! Ich habe absolut nichts daraus gelernt! Das war wirklich mal ein Erlebnis komplett für den Schweineeimer. Kurze Zeit später begann der Haarausfall. Hätte ich die Haare wieder lang wachsen lassen, hätte mein Kopfschmuck dünn und unvorteilhaft ausgesehen. Ich hatte nie mehr eine Chance auf lange Haare, Headbanging und echte Dreadlocks.
Nur ein Gutes ließ sich dieser Erfahrung abgewinnen: Neulich begegnete ich Marion wieder, und nach fast dreißig Jahren konnte ich ihr endlich vorwerfen, dass sie mir damals ein bisschen die Jugend versaut hat. Woraufhin sie mir wegen anderer Sachen aus unserer Jugend Vorwürfe gemacht hat. Beispielsweise, dass ich sie nicht vor diesem Idioten Bernd Kohlmeyer gewarnt hätte. Einen ganzen Abend lang haben wir uns beschimpft wegen unserer in vielerlei Hinsicht suboptimalen Jugend. Wir haben dabei viel gelacht und auch geweint, also vor Lachen, und manchmal auch nicht.
Eventuell ist dies das Schönste, was ein Freund oder eine Freundin für einen tun kann. Einen Abend lang schuld sein an so ziemlich allem, was einem irgendwann mal in der Jugend an irgendwie Blödem widerfahren ist. Ein kostbares Geschenk.
Der Held des Umzugs
Am Ende ist Peter dann doch umgezogen. Das ständige Dielenabschleifen ging ihm nach einiger Zeit auf die Nerven, und als sich ihm die Gelegenheit bot, in eine Genossenschaftswohnung zu ziehen, hat er zugeschlagen.
Von der Lage, der Miete und der Wohnung her ist Peter mit seinem neuen Domizil außerordentlich zufrieden. Nur in puncto Quadratmeter hat er doch einiges verloren. Dieser Umstand, also dass er von einer ziemlich geräumigen in eine eher kleine Wohnung zog, machte den Umzug zu einem logistischen Großprojekt. Und wie ein solches war er auch geplant. Soll heißen, mit ebenjener beeindruckenden Präzision und Umsicht, mit der Großprojekte in Berlin nun mal traditionell durchgezogen werden.
Ich bin schon lange nicht mehr als Helfer beim Umzug eines Freundes dabei gewesen. Aber ich glaube, es ist nicht vermessen, bei dieser Gelegenheit ein allgemeingültiges Axiom aufzustellen. Wenn ein Umzug mit folgenden Worten des Umziehenden beginnt: «Oh, da seid ihr ja schon, ich bin leider noch nicht ganz fertig geworden» – dann lauf! Lauf so schnell du kannst! Drehe dich nicht
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