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Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)

Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)

Titel: Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Evers
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Stadt den Menschen nicht gut …
    All diese Informationen über Werner Mersching und seine Nordholzer Gruppe habe ich übrigens sammeln können, als ich mehrere Minuten hinter ihnen herfahren und ihren Gesprächen lauschen durfte beziehungsweise musste. An ein Überholen der ständig unberechenbar in alle Richtungen wabernden Gruppe war nämlich leider nicht zu denken. Stattdessen blieb ich irgendwie in der Gruppe stecken, bis sie plötzlich aus unerfindlichen Gründen komplett stehen blieb und ich mein Rad durch sie hindurchschieben konnte. Dann hatte ich tatsächlich fast anderthalb Minuten freie Fahrt, bis ich hinter Günther Siebert und seiner Gruppe aus Bruchsal bei Karlsruhe festhing.
    Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich freue mich über alle Berlin-Besucher, die sich die Stadt anschauen, hier essen, in Hotels wohnen und dann wieder nach Hause fahren. Solche Gäste finde ich toll. Wem es in Berlin so gut gefällt, dass er dort wohnen bleiben möchte, der darf auch gern im Bezirk seiner Wahl wohnen bleiben. Und wer findet, Berlin sei viel zu groß, zu laut und zu dreckig, darf das ebenfalls gerne sagen. In Berlin darf er das sogar ganz laut sagen. Das stört niemanden. Man ist ja mittlerweile beinah froh über jeden, dem Berlin zu groß, zu laut und zu dreckig ist. Das ist alles völlig in Ordnung. Aber wer in Berlin Fahrrad fahren möchte, der sollte das bitte unbedingt vorher zu Hause üben.
    Denn, liebe und herzlich willkommene Bewohner vieler kleiner Orte überall in Deutschland, die ihr seit Jahren nicht mehr auf einem Fahrrad gesessen habt und denkt, Berlin, also die Innenstadt von Berlin, das sei doch ein idealer Ort, um tagsüber zu Hauptverkehrszeiten an ausgewählten Verkehrsschwerpunkten ohne jede Ortskenntnis erstmals nach über dreißig Jahren wieder ein bisschen das Fahrradfahren zu üben – stellt euch doch mal vor, wir würden demnächst alle Berliner, die nie einen Führerschein gemacht haben, in eure kleinen Orte schicken, damit sie da zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Traktor oder einem Dreißigtonner Fahren üben können. In Gruppen von zwanzig oder dreißig Fahrzeugen. Zur Hauptverkehrszeit. In euren Innenstädten oder Ortskernen oder was auch immer ihr dort habt. Oder hattet, würde man dann ja wohl später sagen müssen, wenn alle mit dem Traktorfahren fertig wären.
    Doch keine Angst, das machen wir selbstverständlich nicht, weil wir Berliner ja schon von Natur aus nicht nachtragend und – selbst in der berechtigten Beschwerde – prinzipiell höflich sind. Das kann Ihnen jeder Stadtführer bestätigen.

Haare auf Weltniveau
    Kürzlich habe ich Marion Minzer wiedergetroffen. In Marion Minzer war ich im Alter von siebzehn Jahren verliebt. Also, im Prinzip war ich auch in Marion verliebt, als ich sechzehn und achtzehn Jahre alt war. Aber mit siebzehn gab es tatsächlich eine ganz kurze Phase, in der ich Marion Minzer fast von meiner Liebe erzählt hätte. Genaugenommen habe ich das sogar, also indirekt.
    Damals hatte ich noch lange, nicht immer sehr gepflegte Haare. Lange Haare waren seinerzeit noch Ausdruck einer Weltanschauung. Erst recht auf dem Dorf. Unsere langen Haare, also meine und die meiner Freunde, signalisierten jedem Betrachter: Ja, wir sind zwar auf dem Dorf geboren. Fernab von aller wahrgenommenen Welt. In einem Landstrich, wo es hundertmal so viele Rinder, tausendmal so viele Schweine und zweihunderttausendmal so viele Hühner wie Menschen gibt. Wo vier Fünftel der Kinder im Winter geboren sind, weil die zumeist bäuerlichen Familien bei der Koordinierung sexueller Aktivitäten tunlichst darauf achten, dass die Geburt eines Kindes nicht in die Erntezeit fällt. Wo es, wenn die Eltern ankündigen: «Heute fahren wir mal in die große Stadt!», nach Osnabrück geht. Dies alles kann niemand leugnen. Aber unsere Frisuren! Ha! Unsere Frisuren, die hatten Weltniveau. Mit diesen Frisuren konnten wir überall auf der ganzen Welt bestehen. In Bremen, Hamburg, Berlin, London, Paris, Barcelona, wirklich überall konnten wir auf öffentlichen Plätzen herumlungern und waren ein harmonischer Teil der urbanen Vielfalt. Niemand sah uns das Dorf an.
    In gewisser Weise wurde das Dorf sogar zu klein für unsere Frisuren. In einem Dorf sinnlos abhängen war tendenziell eher trostlos. In einer großen Stadt hingegen, auf öffentlichen Plätzen abhängen, das war schon wieder eine Art Statement, quasi eine Form des Protests. Gegen die Konsumgesellschaft zum Beispiel. Auf dem

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