Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
verschwinde ich«, sagte er mit einem Zwinkern.
»Ich überleg’s mir.« Christine lachte.
»Ich würde mich sehr freuen.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Dann hätten wir mal einen Abend, an dem wir so tun können, als sei es ganz normal, dass wir zusammen essen gehen und hinterher ins Hotel. Ich buch uns ein Doppelzimmer«, flüsterte er ihr ins Ohr, bevor er ihr Büro verließ.
»Es liegt an dir, dass wir das hier nicht können«, sagte Christine leise, ohne dass er es noch hören konnte. Sie setzte sich auf ihren Schreibtisch. »Wir hätten jede Menge solcher Abende, wenn du dich offen zu mir bekennen würdest.«
Immerhin hatte Carsten seine Frau bereits verlassen gehabt, als Christine in seinem Leben eine Rolle zu spielen begann. Derzeit aber spielten sie ein Spiel, in dem Christine die Rolle der Geliebten innehatte, ein Status, der ihr überhaupt nicht gefiel. Wenn sie nach Feierabend mal auf einen Kaffee oder einen Sundowner in der Öffentlichkeit zusammensaßen, geschah das stets unter dem beruflichen Deckmantel. Einmal pro Woche kam Carsten zu ihr, ließ seinen Wagen aber meistens irgendwo in der Nachbarschaft stehen. Als ob die Nachbarn das so nicht spitzkriegten. Christine argwöhnte außerdem, dass ihre Kollegen inzwischen zumindest vermuteten, dass etwas zwischen Carsten und ihr lief, immerhin hatte Oda den anderen gegenüber schon mehrfach Andeutungen gemacht. Nein, befriedigend war diese Situation nicht. Und sie würde das Spiel auf die Dauer so nicht mitspielen. Carsten würde sich entscheiden müssen.
Gudrun, ihre Freundin in Hannover, hatte zwar gesagt, sie solle nicht päpstlicher sein als der Papst und die Affäre genießen, das aber konnte Christine nicht. Sie wollte keine Heimlichkeiten. Vor allem aber wollte sie eines nicht: noch einmal von einem Mann so verletzt werden wie von Frank. Und darum, auch, um sich selbst zu schützen, blieb sie Carsten gegenüber emotional so lange auf Distanz, bis sie ihre Beziehung offiziell machen würden. Zumindest bemühte sie sich darum.
Sie lief um den Schreibtisch, setzte sich und zog den hellblauen Flyer aus ihrem Ablagekorb, der für die Tagung mit hochrangigen Experten aus der Psychologie, der Forensik und der Justiz warb. Ohne dass sie es merkte, kaute Christine auf ihrer Unterlippe herum. Warum eigentlich nicht? Sie griff zum Stift und füllte die Anmeldekarte aus.
* * *
»Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich habe? Bis zum Mond und wieder zurück.«
Dicke Tränen tropften auf das kleine Buch, das Nora Brandis in ihrer Hand hielt. Fabian hatte es ihr zum Geburtstag geschenkt. »Und das bleibt ewig so«, hatte er ihr versprochen. Gerade mal drei Monate war das her. Sie hockte auf dem Fußboden in einer Ecke ihres Zimmers. Wollte sich so klein wie möglich machen. Sich einigeln und doch alles von Fabian in sich aufsaugen. Das Foto, das sie beide vor dem Alten Inselhaus auf Spiekeroog zeigte, stand vor ihr, der kleine Plüschelefant, den er ihr geschenkt hatte, kurz nachdem sie zusammengekommen waren, damit sie einen Beschützer hätte, lag auf ihren Beinen, und ihre Hündin Cora hatte sich, als ob sie wüsste, dass Nora Wärme brauchte, still an ihre Seite gekuschelt. Auf ihrem iPhone schaute sie wie in einer Endlosschleife immer wieder sämtliche Fotos an, die sie von Fabian, die Fabian von ihr und die sie per Selbstauslöser von sich gemeinsam gemacht hatten.
»Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?«, flüsterte Nora, legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Wollte ihren Blick hindurchbohren bis in den Himmel, dorthin, wo Fabian jetzt sein musste.
Als ihr Handy heute früh geklingelt hatte, war sie gerade auf dem Weg zur Jade Hochschule gewesen, an der sie Medizintechnik studierte. Fabians Mutter war dran gewesen. Nicht sein Vater, der doch normalerweise alles Wichtige in der Familie übernahm. Wie es Lutz jetzt wohl ging? Wie nahm dieser starke Mann den Tod seines einzigen Sohnes auf?
»Du bist uns jederzeit willkommen.« Ute Baumann hatte geweint, als sie sprach. »Du gehörst doch zur Familie. Kommst du? Ja? Komm bitte.«
»Natürlich.« Nora hatte nicht gewusst, was sie sagen sollte, ihre Antwort war nur ein Flüstern gewesen.
»Heute Morgen habe ich mich noch mit Lutz gestritten, weil Fabi die Nacht nicht nach Hause gekommen ist. Ich war wütend, weil er nicht Bescheid gesagt hat. Lutz meinte, ich solle mich nicht so anstellen, Fabi hätte bestimmt die Nacht bei dir verbracht. Aber zu dem Zeitpunkt war
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