Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
spürte er Aggression in sich aufwallen. Was war schiefgelaufen in ihrem Familienleben? Wann hatte es begonnen, beziehungsmäßig bergab zu gehen? Er stieß sich von der Tür ab, betätigte den Wasserhahn und ließ lauwarmes Wasser über seine Handgelenke laufen. Dabei betrachtete er sich im Spiegel. Seine einstmals dunkelbraunen Haare waren von vielen silbernen Fäden durchzogen, doch die Frisur war modisch, darauf legte er Wert, und dass er sich regelmäßig auf die Sonnenbank legte, sah man an der gesunden braunen Hautfarbe. Seine Augen allerdings … Das Strahlen war daraus verschwunden. Er drehte das Wasser ab und griff nach einem Handtuch. Er war noch immer ein gut aussehender Mann, da gab es keinen Zweifel. Er merkte es an der Reaktion so mancher Frau, die ihm über den Weg lief. Auch Noras Augen blitzten ihn oft flirtend an, wenn sie zu viert etwas unternahmen. Hatte Ute damit Schwierigkeiten? Dass er noch voller Leben und Elan war, während sie selbst immer mehr Falten bekam? Ihre schlanke Figur hatte sie sich mit viel Mühe und Verzicht erhalten, aber man sah deutlich, dass sie keine junge Frau mehr war. War das der Grund für ihre Unzufriedenheit? Nörgelte sie deswegen ständig an allem rum? Dabei hatten sie jeden Grund, zufrieden mit ihrem Leben zu sein.
Was waren sie stolz gewesen, als sie dieses Haus, eigentlich mehr ein Anwesen, gekauft hatten. Als Fregattenkapitän war er zunächst wenig zu Hause gewesen und hatte befürchtet, dass Ute Angst haben würde, allein mit den Kindern in dem großen Haus. Doch da hatte er sich geirrt. Ute hatte den Dienstgrad gewollt, den Status, nicht den Mann. Das hatte er, besonders nachdem die Kinder geboren waren, jedes Mal schmerzlich feststellen müssen, wenn er nach mehrmonatigen Auslandseinsätzen heimkam und sich nach Zuneigung und Körperlichkeit sehnte. Inzwischen war er Kapitän zur See und Kommandeur des Marinestützpunktes Heppenser Groden.
Er blickte aus dem Fenster auf den englischen Rasen und die akkurat geschnittenen Buchsbaumkugeln, die sich entlang der Auffahrt mit weißen Lichtkugeln abwechselten. Ja, sie besaßen ein kleines Paradies, und er genoss es, dass sowohl Fabian als auch Saskia noch hier wohnten. Groß genug war das Haus, jedes ihrer Kinder hatte seinen eigenen Bereich: Fabian unter dem Dach, Saskia, die fünf Jahre jünger war als ihr Bruder, im Souterrain.
Ein Wagen hielt an der Straße, direkt vor ihrer Auffahrt. Baumann runzelte die Stirn. Zwei Frauen stiegen aus. Eine hochgewachsen, blond und elegant gekleidet – bis auf die roten Gummistiefel mit Rosenmuster. Die andere machte einen eher burschikosen Eindruck auf ihn. Was wollten die hier?
Neugierig stellte er das Fenster auf Kipp, um zu hören, was draußen gesprochen wurde.
»Mein lieber Scholli«, sagte die Burschikose, während sie sein Anwesen betrachtete. »Ganz schön edel. Man könnte auch sagen: nicht von schlechten Eltern, der Knabe.«
Sofort stellten sich bei Baumann sämtliche Härchen auf. Was hatte das zu bedeuten?
»Oda!«, rügte die andere sie, was die Erste mit einem schiefen Grinsen quittierte.
»Was ist, packen wir’s, oder willst du dir vielleicht erst noch andere Schuhe anziehen?«
Sie blickte auf die roten Gummistiefel der Blonden, die mit einem »Stimmt« an den Kofferraum trat und die Gummistiefel gegen Pumps tauschte.
Was ging da vor sich? Baumann schwante nichts Gutes. Das sah nach einem offiziellen Besuch aus, und der Äußerung der Burschikosen zufolge schien es um seinen Sohn zu gehen. Er konnte sich nur nicht erklären, was Fabian mit diesen beiden Frauen zu tun haben könnte.
Eine Viertelstunde später war Lutz Baumanns Welt in Splitter zerfallen.
Fabian war tot.
* * *
Volker Wilken saß auf einer Transportkiste in der Offiziersmesse und sah aus dem Fenster ins Grau des bewölkten Novemberhimmels. Er saß gern hier. Die Fenster der Offiziersmesse, die intern auch »die vier Vorteile einer 122er Fregatte« genannt wurden, waren etwas, auf das die Offiziere sehr stolz waren, denn hier gab es keine Bullaugen. Es gab Fenster.
In Vorbereitung des kommenden Einsatzes wurde in der O-Messe zurzeit ständig gearbeitet, sodass Offiziere und Portepeeunteroffiziere ( PUOS ) die Mahlzeiten gemeinsam in der PUO -Messe einnahmen und dort auch die Pausen verbrachten. Grundsätzlich begrüßte Volker diesen Zustand, denn so kamen Offiziere und PUO s ungezwungener zusammen und redeten auch öfter mal außerdienstlich. Heute aber wollte er bei all der
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