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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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abschrubben. Ich hab ganz schön damit rumgespritzt.«
    »Was hast du denn mitten in der Nacht gemalt?«
    »Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen.«
    Er zuckte mit den Schultern und nickte. »Die Künstlersache kommt langsam in Gang. Der Groove.«
    »Komm mir nicht so.«
    »Es steht nicht gut zwischen uns, wenn ich Respekt äußere und du Sarkasmus hörst.«
    »Sorry.«
    Er winkte ab. »Iss deine huevos . Damit du groß und stark wie Wireman wirst.«
    Ich aß meine huevos . Elizabeth schnarchte. Der Fernseher schwatzte. In der elektronischen Ringmitte war jetzt Tina Garibaldis Tante, eine junge Frau, kaum älter als meine Tochter Melinda. Sie sagte, Gott habe eingesehen, dass der Staat Florida zu langsam sein werde, und »dieses Monster« selbst bestraft. Ich dachte: Recht hast du, muchacha, nur war es nicht Gott.
    »Stell diesen Scheißkarneval ab«, sagte ich.
    Er schaltete den Fernseher aus, dann wandte er sich aufmerksam mir zu.
    »Vielleicht hast du mit der Künstlersache recht. Ich habe beschlossen, meine Bilder in der Scoto auszustellen, wenn dieser Nannuzzi sie noch zeigen will.«
    Wireman lächelte und applaudierte, allerdings leise, damit Elizabeth nicht aufwachte. »Ausgezeichnet! Edgar greift nach dem Champagnerglas Ruhm. Und warum auch nicht? Warum zum Teufel nicht?«
    »Ich greife nach keinem Champagnerirgendwas«, widersprach ich und fragte mich, ob das ganz stimmte. »Aber würdest du lange genug aus dem Ruhestand zurückkommen, um dir den Vertrag anzusehen, falls sie mir einen anbieten?«
    Sein Lächeln verblasste. »Gern, wenn ich noch da bin, aber ich weiß nicht, wie lange ich noch da sein werde.« Er sah meinen Gesichtsausdruck und hob eine Hand. »Ich spiele noch nicht den Trauermarsch, aber frag dich mal Folgendes, mi amigo: Bin ich noch der richtige Mann, um für Miss Eastlake zu sorgen? In meiner jetzigen Verfassung?«
    Und weil das eine verzwickte Geschichte war, mit der ich mich nicht beschäftigen wollte - nicht an diesem Morgen -, fragte ich: »Wie bist du überhaupt zu diesem Job gekommen?«
    »Ist das wichtig?«
    »Vielleicht«, sagte ich.
    Ich dachte daran, wie ich meinen Aufenthalt auf Duma Key mit einer Annahme begonnen hatte - dass ich mir diesen Ort selbst ausgesucht hatte -, nur um zu der Überzeugung zu gelangen, dass er vielleicht mich ausgewählt hatte. Ich hatte mich sogar gefragt, meistens im Bett liegend und dem Flüstern der Muscheln lauschend, ob mein Unfall wirklich ein Unfall gewesen war. Natürlich war er einer gewesen, es musste einer gewesen sein, aber es war trotzdem einfach, Parallelen zwischen meinem Unfall und dem von Julia Wireman zu sehen. Bei mir war’s der Kran gewesen, bei ihr ein Fahrzeug der Straßenreinigung. Andererseits gab es natürlich Leute - Menschen, die auf den meisten Gebieten normal funktionierten -, die einem erzählten, sie hätten das Gesicht Jesu auf einem Taco gesehen.
    »Nun«, sagte er, »falls du eine weitere lange Geschichte erwartest, vergiss es. Es braucht viel, damit mir die Lust vergeht, Geschichten zu erzählen, aber im Augenblick ist der Brunnen fast trocken.« Er betrachtete Elizabeth missmutig. Und vielleicht mit einer Andeutung von Neid. »Ich habe letzte Nacht nicht sehr gut geschlafen.«
    »Gut, dann die Kurzfassung.«
    Er zuckte mit den Schultern. Seine fiebrige Gutgelauntheit fiel zusammen wie Schaum in einem Bierglas. Seine breiten Schultern sackten nach vorn, sodass sein Brustkorb eingesunken aussah.
    »Nachdem Jack Fineham mich in ›Zwangsurlaub‹ geschickt hatte, kam ich zu dem Schluss, dass Tampa eine ganz vernünftige Disney-World-Variante war. Doch kaum kam ich dort an, war mir sterbenslangweilig.«
    »Kann ich mir vorstellen«, sagte ich.
    »Außerdem hatte ich das Gefühl, eine Art Wiedergutmachung leisten zu müssen. Ich wollte nicht nach Darfur oder nach New Orleans oder in irgendeiner kostenlosen Rechtsberatung für Arme arbeiten, obwohl ich auch daran gedacht habe. Ich hatte das Gefühl, irgendwo sprängen die kleinen Zahlenkugeln vielleicht noch auf und ab und eine warte darauf, ins Fallrohr zu gelangen. Die letzte Zahl.«
    »O ja«, sagte ich. Ein kalter Finger berührte mein Genick. Nur ganz leicht. »Noch eine Zahl. Dieses Gefühl kenne ich.«
    » Sí, señor, ich weiß. Sie wartet darauf, Gutes zu tun, die Bilanz wieder auszugleichen. Weil ich das Gefühl hatte, sie habe es nötig, ausgeglichen zu werden. Und dann habe ich eines Tages eine Anzeige in der Tampa Tribune gelesen. ›Gesucht: Betreuer

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