Wahn - Duma Key
verlangt ist, aber...«
Dann fiel ihm etwas Neues ein. Er stand auf und starrte übers Wasser hinaus. Er hatte abgenommen. Die Haut über seinen Wangenknochen war so straff gespannt, dass sie glänzte. Seine Haare hingen ihm strähnig über die Ohren und mussten dringend gewaschen werden.
»Falls ich sterbe - und das könnte ich, mit mir kann es blitzschnell zu Ende sein, genau wie mit Señor Brown -, musst du mich hier ersetzen, bis der Nachlassverwalter einen neuen Betreuer findet, der bei ihr einzieht. Das ist keine besondere Erschwernis, du kannst genauso gut hier malen. Das Licht ist wundervoll, nicht wahr? Das Licht ist großartig!«
Allmählich machte er mir Angst. »Wireman...«
Er warf sich herum, und jetzt funkelten seine Augen, das linke scheinbar in einem See aus Blut schwimmend. »Versprich es mir, Edgar! Wir brauchen einen Plan! Haben wir keinen, wird sie fortgeschafft und in ein Heim gesteckt, und dann ist sie in einem Monat tot! In einer Woche! Das weiß ich! Versprich es mir also!«
Ich dachte, dass er vermutlich recht hatte. Und ich dachte, wenn es mir nicht gelingen würde, etwas Dampf aus seinem Kessel abzulassen, könnte er hier vor mir einen weiteren Anfall bekommen. Also versprach ich es ihm. Dann sagte ich: »Vielleicht lebst du letztlich viel länger, als du glaubst, Wireman.«
»Klar. Aber ich schreibe trotzdem alles auf. Für alle Fälle.«
III Für die Rückkehr ins Big Pink bot er mir erneut den Palacio -Golfwagen an. Ich erklärte ihm, ich könne gut zu Fuß gehen, hätte aber nichts gegen ein Glas Orangensaft, bevor ich aufbrach.
Also, ich trinke wie jeder gern frisch gepressten Saft aus Floridaorangen, aber ich gestehe, dass ich an diesem bestimmten Morgen tiefere Beweggründe hatte. Er ließ mich in dem kleinen Salon auf der Strandseite der verglasten Haupthalle des Palacio zurück. Diesen Raum benutzte er als Büro, obwohl mir rätselhaft war, wie ein Mann, der nicht länger als fünf Minuten am Stück lesen konnte, Korrespondenz erledigte. Ich vermutete - und das rührte mich an -, dass Elizabeth ihm dabei geholfen hatte, und zwar beträchtlich, bevor ihr eigener Zustand sich verschlechterte.
Als ich zum Frühstück gekommen war, hatte ich einen Blick in diesen Raum geworfen und auf dem geschlossenen Deckel eines Laptops, für den Wireman dieser Tage vermutlich nicht viel Verwendung hatte, eine bestimmte graue Mappe erspäht. Jetzt klappte ich sie auf und nahm eine der drei Röntgenaufnahmen an mich.
»Großes Glas oder kleines?«, rief Wireman aus der Küche und erschreckte mich damit so sehr, dass ich meine Beute beinahe fallen gelassen hätte.
»Mittelgroß reicht!«, rief ich zurück. Ich steckte die Röntgenaufnahme in meinen Beutel und klappte die Mappe wieder zu. Fünf Minuten später stapfte ich den Strand entlang zurück.
IV Mir gefiel der Gedanke nicht, einem Freund etwas zu stehlen - nicht mal eine einzelne Röntgenaufnahme. Ebenso wenig gefiel mir, dass ich verschweigen musste, was ich Candy Brown meiner Überzeugung nach angetan hatte. Ich hätte es ihm erzählen können; nach der Sache mit Tom Riley hätte er mir geglaubt. Selbst ohne seinen Anflug von ESP hätte er mir geglaubt. Das war das eigentliche Problem. Wireman war nicht dumm. Konnte ich Candy Brown mit meinem Pinsel in die Leichenhalle der Sarasota County schicken, konnte ich vielleicht für einen bestimmten Anwalt mit einem Hirnschaden etwas tun, das die Ärzte nicht konnten. Aber falls ich es nicht konnte? Lieber keine falschen Hoffnungen wecken... zumindest nicht außerhalb meines eigenen Herzens, in dem sie bereits lächerlich hoch waren.
Als ich ins Big Pink zurückkam, protestierte meine Hüfte lautstark. Ich hängte meinen Dufflecoat an die Garderobe, warf ein paar Oxycontin ein und sah an meinem Anrufbeantworter das Lämpchen blinken, das eine Nachricht ankündigte,.
Der Anrufer war Nannuzzi. Er war entzückt, von mir zu hören. O ja, sagte er, wenn meine übrigen Arbeiten so gut seien wie die Gemälde, die er gesehen habe, werde die Scoto sich glücklich schätzen, eine Ausstellung meiner Werke zu veranstalten - am besten noch vor Ostern, wenn die Wintergäste heimreisten. Ob er und einer oder mehrere seiner Partner vielleicht nach Duma Key kommen könnten, um mich in meinem Atelier zu besuchen und sich einige meiner anderen fertigen Arbeiten anzusehen? Sie würden mir gern einen Mustervertrag mitbringen, damit ich ihn schon mal durchlesen
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