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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Jeans, mit der Hand auf ihrem Handgelenk. Ihr nach oben gerichteter Blick begegnete seinem, und ihre Lippen waren leicht geöffnet, als sei sie im Begriff, eine Frage zu stellen - wobei Was wollen Sie, Mister? die wahrscheinlichste war. Seine Augen sahen auf sie herab, und sie waren voller finsterer Absichten, aber sein restliches Gesicht war völlig ausdruckslos, denn der Rest seines Gesichts fehlte. Ich hatte ihn ohne Mund und Nase gemalt.
    Meine Version von Candy Browns Gesicht war unterhalb der Augen eine einzige ebene Fläche.

10
    Das Champagnerglas Ruhm
    I Ich hatte das Flugzeug hierher nach Florida mit einem schweren Dufflecoat bestiegen, und ich trug ihn an diesem Morgen, als ich den Strand vom Big Pink zum Palacio de Asesinos entlanghinkte. Es war kalt, und vom Golf her, dessen Wasser unter dem leeren Himmel wie zerbrochener Stahl aussah, wehte eine steife Brise. Hätte ich gewusst, dass dies der letzte kalte Tag war, den ich auf Duma Key erleben würde, hätte ich ihn vielleicht genossen... aber vielleicht doch nicht. Ich hatte kein Talent mehr dafür, Kälte freudig zu ertragen.
    Jedenfalls wusste ich kaum, wo ich war. Ich hatte meinen Sammelbeutel über der Schulter hängen, weil es mir zur zweiten Natur geworden war, ihn zu Strandwanderungen mitzunehmen, aber ich steckte keine einzige Muschel, kein einziges Stück Treibgut hinein. Ich stapfte einfach durch den Sand, schwang mein schlimmes Bein, ohne es wirklich zu spüren, hörte den Wind an meinen Ohren vorbeipfeifen, ohne ihn richtig wahrzunehmen, und beobachtete die in der Brandung herumflitzenden Piepser, ohne sie wirklich zu sehen.
    Ich dachte: Ich habe ihn so sicher umgebracht wie Monica Goldsteins Hund. Ich weiß, das klingt schwachsinnig, aber...
    Nur dass es nicht nach Schwachsinn klang. Es war kein Schwachsinn.
    Ich hatte seine Atmung gestoppt.
     
     
     
     
     
     
    II Auf der Südseite des Palacio gab es einen verglasten Wintergarten. In einer Richtung hatte man das Gewirr aus tropischer Vegetation im Blick, in der anderen das wogende metallische Blau des Golfs. Hier saß Elizabeth mit einem vor sich befestigten Frühstückstablett in ihrem Rollstuhl. Zum ersten Mal, seit ich sie kennengelernt hatte, war sie mit einem Gurt fixiert. Das Tablett, auf dem Rühreibrocken und Toaststückchen lagen, sah aus, als hätte hier ein Kleinkind gefrühstückt. Wireman hatte ihr aus einem Trinkbecher Orangensaft eingeflößt. Der kleine Tischfernseher in der Ecke war auf Channel 6 eingestellt, der weiter Candy, nichts als Candy brachte. Er war tot, und Channel 6 geilte sich an seiner Leiche auf. Candy hatte zweifellos nichts Besseres verdient, aber das war trotzdem gruselig.
    »Ich glaube, sie ist fertig«, sagte Wireman, »aber vielleicht leistest du ihr ein bisschen Gesellschaft, während ich dir Rührei mache und den Toast anbrennen lasse.«
    »Gern, aber du brauchst dir meinetwegen keine Umstände zu machen. Ich habe lange gearbeitet und danach einen Bissen gegessen.« Einen Bissen. Klar. Beim Hinausgehen hatte ich die leere Teigschüssel im Ausguss stehen gesehen.
    »Das macht keine Umstände. Wie geht’s dir heute Morgen mit dem Bein?«
    »Nicht schlecht.« Das stimmte sogar. »Et tu, Brute?«
    »Ganz gut, danke.« Aber er sah müde aus; sein blutunterlaufenes linkes Auge tränte weiter vor sich hin.
    Elizabeth war fast völlig weggetreten. Als ich ihr den Trinkbecher hinhielt, nahm sie einen kleinen Schluck und wandte dann den Kopf ab. Im unversöhnlich klaren Winterlicht sah ihr Gesicht uralt und verwirrt aus. Wir bildeten ein bemerkenswertes Trio, fand ich: die senile Frau, der Exanwalt mit der Kugel im Gehirn und der amputierte Exbauunternehmer. Alle mit Kriegsnarben an der rechten Kopfseite. Im Fernsehen forderte Candy Browns Anwalt - jetzt sein Exanwalt, sagte ich mir - eine genaue Untersuchung der Todesumstände. In diesem Punkt sprach Elizabeth vielleicht für die ganze Sarasota County, indem sie die Augen schloss, nach vorn gegen den Haltegurt sackte, der ihren beträchtlichen Busen hochdrückte, und einschlief.
    Wireman kam mit Rührei für uns beide zurück, und ich aß mit überraschendem Appetit. Elizabeth begann zu schnarchen. Eines stand fest: Falls sie unter Schlafapnoe litt, würde sie nicht jung sterben.
    »Hast eine Stelle am Ohr übersehen, muchacho «, sagte Wireman und tippte sich mit der Gabel ans eigene Ohr.
    »Hä?«
    »Farbe. An deinem Lauscher.«
    »O ja«, sagte ich. »Die kann ich jetzt wieder tagelang überall

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