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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Nannuzzi«, begann er. »Ich bin Mitkurator und Chefeinkäufer der Scoto Gallery in der Palm Avenue. Noch wichtiger ist vielleicht, dass ich seit dreißig Jahren der Kunstszene in Sarasota angehöre, und Sie werden meinen kurzen Abstieg in etwas, das manche vielleicht Lokalpatriotismus à la Bobbit nennen würden, hoffentlich entschuldigen, wenn ich sage, dass es in ganz Amerika keine glänzendere Kunstszene gibt.«
    Das brachte ihm den begeisterten Applaus eines Publikums ein, das zwar - wie Wireman später sagte - vielleicht den Unterschied zwischen Manet und Monet kannte, aber offenbar keine Ahnung hatte, dass es auch einen zwischen George Babbit und John Bobbit gab. In den Kulissen stehend und das Fegefeuer durchleidend, das nur verängstigte Hauptredner durchleiden, während jemand, der die einführenden Worte spricht, quälend langsam seinen gewundenen Weg geht, achtete ich kaum darauf.
    Dario steckte das oberste Kärtchen nach unten, ließ wieder beinahe den ganzen Stapel fallen, fing sich und sah erneut in den Saal hinaus. »Ich weiß kaum, wo ich anfangen soll, aber zu meiner Erleichterung brauche ich nur sehr wenig zu sagen, denn wahres Talent scheint aus dem Nichts emporzulodern und macht eine Vorstellung fast überflüssig.«
    Nachdem das gesagt war, stellte er mich in den folgenden zehn Minuten ausführlich vor, während ich weiter in den Kulissen stand und meine lausige eine Seite mit Notizen krampfhaft mit meiner verbliebenen Linken umklammerte. Namen zogen vorbei wie geschmückte Wagen bei einem Festzug. Ein paar wie Edward Hopper und Salvador Dalí kannte ich. Andere wie Yves Tanguy und Kay Sage dagegen nicht. Jeder unbekannte Name bewirkte, dass ich mir erst recht wie ein Hochstapler vorkam. Die Angst, die ich empfand, war nicht mehr nur mental; sie hatte sich tief in meinem Unterleib festgekrallt. Ich hatte Blähungen, traute mich aber nicht, zu furzen, weil ich fürchtete, ich könnte mir in die Hose machen. Meinen auswendig gelernten Text hatte ich gänzlich vergessen - bis auf den ersten Satz, der grausig zutreffend war: Mein Name ist Edgar Freemantle, und ich habe keine Ahnung, wie ich hierher geraten bin. Diese Aussage sollte Heiterkeit auslösen. Das würde sie nicht tun, das wusste ich inzwischen, aber sie war zumindest wahr.
    Während Dario monoton weitersprach - Joan Miró dies, Bretons Surrealistisches Manifest jenes -, stand ein verängstigter ehemaliger Bauunternehmer mit seinen kümmerlichen Notizen in einer klammen Faust im Schattenreich der Bühne. Meine Zunge lag wie ein Bleiklumpen in meinem Mund; ich konnte vielleicht krächzen, aber kein vernünftiges Wort sprechen - nicht vor zweihundert Kunstkennern, von denen viele akademische Grade besaßen, von denen einige gottverdammte Professoren waren. Am schlimmsten von allem war mein Gehirn. Es glich einem leeren Gefäß, das darauf wartete, mit sinnlosem, gegen alles und jeden gerichtetem Zorn gefüllt zu werden; die Worte würden vielleicht ausbleiben, aber die Wut war immer verfügbar.
    »Genug!«, rief Dario heiter aus, versetzte mein pochendes Herz erneut in Angst und Schrecken und schickte einen Krampf durch meine elenden Unterleibsregionen - Entsetzen oben, mit knapper Not zurückgehaltene Scheiße unten. Eine großartige Kombination! »Es ist fünfzehn Jahre her, dass die Scoto einen neuen Künstler in ihr übervolles Frühjahrsprogramm aufgenommen hat, und wir haben nie einen vorgestellt, der mehr Interesse geweckt hätte. Ich bin sicher, dass die Dias, die Sie sehen, und der Vortrag, den Sie hören werden, unser Interesse und unsere Begeisterung verständlich machen werden.«
    Er machte eine dramatische Pause. Ich spürte einen vergifteten Tropfen Schweiß auf meiner Stirn und wischte ihn weg. Der Arm, den ich dazu hob, schien zwanzig Kilo zu wiegen.
    »Meine Damen und Herren, Mr. Edgar Freemantle, zuletzt aus Minneapolis-St. Paul, jetzt wohnhaft auf Duma Key.«
    Sie applaudierten. Das klang wie Artilleriesperrfeuer. Ich befahl mir, wegzulaufen. Ich befahl mir, in Ohnmacht zu fallen. Ich tat weder das eine noch das andere, sondern ging wie im Traum - aber in keinem guten - hinaus ins Rampenlicht. Alles schien in Zeitlupe abzulaufen. Ich sah, dass alle Plätze besetzt waren, gleichzeitig war im Moment keiner besetzt, weil das Publikum aufgesprungen war und mir stehend applaudierte. In der Kuppel hoch über mir schwebten Engel, die alles Irdische unter ihnen leichthin zu ignorieren schienen - oh, wie ich mir wünschte, einer

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