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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Streifen über den Wohnzimmerboden gefallen war. Und ich erinnerte mich, dass ich über Selbstmord und die Myriaden von Straßen nachgedacht hatte, die ins Dunkel führten: Fernstraßen und Nebenstraßen und schlecht instand gehaltene, fast vergessene Sträßchen.
    Das Schweigen zog sich in die Länge, aber ich fürchtete es nicht mehr. Und das Publikum schien sich nicht daran zu stören. Dass ich ein wenig abschweifte, war ganz natürlich. Schließlich war ich ein Künstler .
    »Die Idee, glücklich zu sein - zumindest auf mich angewandt -, war etwas, woran ich lange nicht mehr gedacht hatte«, sagte ich. »Ich habe daran gedacht, meine Familie zu ernähren, und nachdem ich eine Baufirma gegründet hatte, habe ich daran gedacht, meine Arbeiter und Angestellten nicht im Stich zu lassen. Ich habe auch daran gedacht, Erfolg zu haben, und dafür gearbeitet - vor allem weil so viele Leute glaubten, ich würde scheitern. Dann ist der Unfall passiert. Mit einem Schlag war alles anders. Ich musste feststellen, dass ich keine...«
    Ich griff nach dem Wort, das ich suchte, tastete mit beiden Händen danach, obwohl sie nur eine sahen. Und vielleicht ein leichtes Zucken des Armstumpfs in dem hochgesteckten Jackenärmel.
    »Ich besaß keine Ressourcen, auf die ich zurückgreifen konnte. Und was das betraf, was mich glücklich machen konnte …« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe meinem Freund Kamen erzählt, dass ich früher gezeichnet habe - jetzt allerdings schon lange nicht mehr. Er hat mir vorgeschlagen, wieder damit anzufangen, und als ich gefragt habe, wozu, hat er gesagt, ich bräuchte einen Schutzwall gegen die Nacht. Ich habe damals nicht verstanden, was er meinte, weil ich desorientiert und verwirrt war und Schmerzen hatte. Jetzt verstehe ich es besser. Die Leute sagen, die Nacht sinke herab, aber hier im Süden steigt sie auf. Sie steigt aus dem Golf herauf, wenn der Sonnenuntergang beendet ist. Das zu sehen hat mich erstaunt.«
    Ebenso erstaunte mich meine unerwartete Beredtheit. Mein rechter Arm meldete sich die ganze Zeit nicht. Mein rechter Arm war nur ein Stumpf in einem hochgesteckten Ärmel.
    »Können wir die Lampen bitte ganz herunterdrehen? Auch den Spot über mir?«
    Alice lief selbst zum Schaltkasten und vergeudete keine Zeit. Der Lichtkegel, in dem ich gestanden hatte, wurde zu einem Glimmen heruntergedreht. Halbdunkel erfüllte den Saal.
    Ich sagte: »Auf dem Weg über die Brücke zwischen meinen beiden Leben habe ich entdeckt, dass Schönheit manchmal entgegen aller Erwartungen entsteht. Aber das ist keine sehr originelle Idee, nicht wahr? Sie ist eigentlich nur eine Plattitüde... irgendwie auf die gleiche Art wie ein Sonnenuntergang in Florida. Trotzdem ist sie nun einmal wahr, und die Wahrheit verdient es, ausgesprochen zu werden … wenn man sie auf neuartige Weise sagen kann. Ich habe versucht, sie auf einem Gemälde festzuhalten. Alice, können wir bitte das erste Dia sehen?«
    Es wurde ungefähr zwei mal drei Meter groß auf die Leinwand rechts neben mir projiziert: ein Trio riesiger üppiger Rosen, die aus einer dicken Schicht dunkelrosa Muscheln wuchsen. Sie waren dunkel, weil sie sich unter dem Haus, im Schatten meines Hauses befanden. Das Publikum holte unwillkürlich Luft - ein Geräusch, das wie ein kurzer, aber lauter Windstoß klang. Ich hörte es und wusste, dass Wireman und die Leute in der Scoto nicht die Einzigen waren, die verstanden. Die sahen. Sie schnappten nach Luft, wie es Menschen tun, die von etwas gänzlich Unerwartetem überrascht worden sind.
    Dann begannen sie zu applaudieren. Der Beifall dauerte fast eine Minute lang. Ich stand da, hielt die linke Seite des Rednerpults umklammert und hörte ihn mir benommen an.
    Die restliche Bildervorstellung dauerte ungefähr fünfundzwanzig Minuten, aber ich habe kaum eine Erinnerung daran. Ich glich einem Mann, der im Traum einen Diavortrag hält. Ich erwartete ständig, in meinem Krankenhausbett aufzuwachen: in Schweiß gebadet, mit rasenden Schmerzen, nach Morphium brüllend.
     
     
     
     
     
     
    XII Dieses traumartige Gefühl hielt auch bei dem Empfang an, der nach meinem Vortrag in der Scoto stattfand. Ich hatte kaum mein erstes Glas Champagner geleert (größer als ein Fingerhut, aber nicht viel), als mir ein zweites in die Hand gedrückt wurde. Leute, die ich nicht kannte, tranken mir zu. Rufe wie »Hört, hört!« und einmal sogar »Maestro!« wurden laut. Ich sah mich nach meinen neuen Freunden um, konnte sie aber

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