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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wenn ich mir Zeit ließ. Die Brandung war zahm, die hereinkommenden kleinen Wellen nur eine Handbreit hoch. Es war schwierig, sich dieses Wasser in vom Wirbelsturm gepeitschter, zerstörender Raserei vorzustellen. Genau genommen war es unmöglich. Später würde Wireman mir erklären, dass Gott uns immer für das straft, was wir uns nicht vorstellen können.
    Das war einer seiner besseren Aussprüche.
    Ich machte kehrt, um ins Haus zurückzugehen, dann hielt ich noch mal inne. Das Licht reichte eben aus, dass ich den hohen Teppich aus angeschwemmten Muscheln unter dem vorspringenden Florida-Raum erkennen konnte. Bei Flut, wurde mir jetzt klar, würde die vordere Hälfte meines neuen Hauses fast dem Vordeck eines Schiffs gleichen. Ich dachte daran, wie Jack gesagt hatte, falls der Golf von Mexiko beschließe, das Haus zu verschlingen, würde ich rechtzeitig durch sein Ächzen gewarnt werden. Vermutlich hatte er recht... aber ich hätte auch auf der Baustelle rechtzeitig vor einer zurücksetzenden schweren Maschine gewarnt werden sollen.
    Ich hinkte zur an der Hauswand lehnenden Krücke zurück und nahm den kurzen Bohlenweg zur Haustür. Ich dachte ans Duschen, nahm dann doch lieber ein Bad und bewältigte das Ein- und Aussteigen mit den vorsichtig gleitenden Seitwärtsbewegungen, die Kathi mir in meinem anderen Leben gezeigt hatte - beide in Badekleidung, ich mit einem rechten Bein, das wie ein ungeschickt tranchiertes Stück Fleisch aussah. Inzwischen gehörte das Gemetzel der Vergangenheit an; mein Körper besann sich seiner Wunderheilkräfte. Die Narben würde ich behalten, aber selbst sie würden irgendwann verblassen. Sie verblassten schon jetzt.
    Abgetrocknet und mit geputzten Zähnen krückte ich ins große Schlafzimmer hinüber und begutachtete das französische Bett, auf dem jetzt keine Zierkissen mehr lagen. »Houston«, sagte ich, »wir können das Bett sehen.«
    »Roger, Freemantle«, antwortete ich. »Bereit machen zum Andocken.«
    Klar, warum nicht? Ich würde niemals schlafen, nicht nach diesem endlos langen Nickerchen, aber ich konnte mich eine Zeit lang hinlegen. Mein Bein fühlte sich selbst nach meinem Ausflug ans Wasser ziemlich gut an, aber ich spürte einen Knoten im Kreuz und einen weiteren im Genick. Ich streckte mich aus. Nein, Schlaf kam nicht infrage, aber ich schaltete trotzdem das Licht aus. Nur um meine Augen auszuruhen. Ich würde daliegen, bis Rücken und Genick weniger wehtaten, dann ein Taschenbuch aus meinem Koffer holen und lesen.
    Nur ein bisschen daliegen, das war alles …
    Weiter kam ich nicht, dann war ich wieder weg. Diesmal schlief ich traumlos.
     
     
     
     
     
     
    VIII Mitten in der Nacht glitt ich in eine Art Bewusstsein zurück: mit juckendem rechtem Arm und kribbelnder rechter Hand und ohne zu wissen, wo ich war - nur dass irgendwo unter mir etwas Riesiges mahlte und mahlte und mahlte . Anfangs dachte ich an eine Maschine, aber dafür war das Geräusch zu unregelmäßig. Und irgendwie zu organisch . Dann dachte ich an Zähne, aber nichts hatte so riesige Zähne. Zumindest nichts in der bekannten Welt.
    Atmung, dachte ich, und das klang richtig, aber welches Tier machte dieses gewaltige Mahlgeräusch, wenn es einatmete? Und Gott, dieses Jucken machte mich verrückt , den ganzen Unterarm bis hinauf zur Ellbogenbeuge. Um mich zu kratzen, griff ich mit der linken Hand über meinen Oberkörper, aber es gab natürlich keinen Ellbogen, keinen Unterarm, und ich kratzte nichts als das Bettlaken.
    Das weckte mich endgültig, und ich setzte mich auf. Obwohl es im Zimmer noch sehr dunkel war, fiel durchs Westfenster genug Sternenlicht herein, um mir das Fußende des Bettes und die Bank zu zeigen, auf der einer meiner Koffer lag. Das verschaffte mir wieder Orientierung. Ich war auf Duma Key dicht vor der Westküste Floridas, dem Zufluchtsort der frisch Verheirateten und fast schon Toten. Ich war in einem Haus, das ich bereits als Big Pink bezeichnete, und dieses Mahlen …
    »Das sind Muscheln«, murmelte ich und ließ mich zurücksinken. »Die Muscheln unter dem Haus. Die Flut ist reingekommen.«
    Ich liebte dieses Geräusch von Anfang an, als ich aufwachte und es im Dunkel der Nacht hörte, ohne zu wissen, wo ich war, wer ich war oder welche Körperteile noch vorhanden waren. Es gehörte mir.
    Es hatte mich schon beim ersten Hallo.

3
    Neue Ressourcen
    I Was nun folgte, war eine Zeit der Erholung und des Übergangs aus meinem anderen Leben in das neue, das ich auf Duma Key

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