Wahn - Duma Key
Artisan-Zeichenblöcke verstaut hatte. Er gab mir einen davon. Jacks Hand bewegte sich etwas, und Noveen schien leicht den Kopf zu senken, um ihn zu studieren, als ich erst den Block aufklappte und dann den Reißverschluss der Gürteltasche aufzog, die meine Stifte enthielt. Ich nahm einen heraus.
»Nee, nee. Nimm ein von ihrn.«
Ich kramte nochmals und holte Libbits blassgrünen Stift heraus. Er war der einzige, der noch lang genug war, um sich gut anfassen zu lassen. Anscheinend war dies nicht ihre Lieblingsfarbe gewesen. Oder vielleicht kam das nur daher, dass Dumas Grüntöne dunkler waren.
»Okay, was nun?«
»Zeichne mich inner Küche. Lehn mich an den Brotkast’n, das wär gut.« »Auf der Anrichte, meinst du?«
»Denkste, ich hab vom Fußboden gered’t?«
»Heiliger«, murmelte Wireman. Die Stimme hatte sich von Satz zu Satz verändert; jetzt klang sie überhaupt nicht mehr wie Jacks Stimme. Und wem gehörte sie, wenn man bedachte, dass Noveen nur durch die Einbildungskraft eines kleinen Mädchens hatte sprechen können? Ich glaubte, dass die Puppe damals mit Nan Meldas Stimme gesprochen hatte, die wir vermutlich auch jetzt wieder hörten.
Sobald ich zu arbeiten begann, floss das Jucken meinen fehlenden Arm hinunter, umgrenzte ihn, machte, dass er da war. Ich zeichnete sie im Sitzen an einen altmodischen Brotkasten gelehnt; dann ließ ich ihre Beine über den Rand der Anrichte baumeln. Ohne zu pausieren oder zu zögern - tief in meinem Inneren, wo die Bilder herkamen, sagte mir irgendetwas, ein Zögern könnte den noch entstehenden, fragilen Zauberbann brechen -, machte ich weiter und zeichnete ein kleines Mädchen, das neben der Anrichte stand. Das neben der Anrichte stand und aufblickte. Eine kleine Vierjährige in einer Kittelschürze. Wie eine Kittelschürze aussieht, hätte ich Ihnen nicht sagen können, bevor ich eine über das Kleid der kleinen Libbit zeichnete, während sie in der Küche neben ihrer Puppe stand, als sie dort stand und aufblickte, als sie dort stand …
Pscht...
... mit einem Finger auf den Lippen.
Noch rascher als zuvor, mit übers Papier flitzendem Farbstift, fügte ich jetzt Nan Melda hinzu, die ich zum ersten Mal außerhalb des Fotos sah, auf dem sie den roten Picknickkorb mit hervortretenden Armmuskeln an sich gedrückt hielt. Nan Melda, die sich über das kleine Mädchen beugte, ihr Gesicht starr und ärgerlich.
Nein, nicht ärgerlich …
VI Verängstigt.
Das ist Nan Melda nämlich: fast zu Tode geängstigt. Sie weiß, dass irgendwas vorgeht, Libbit weiß, dass irgendwas vorgeht, und die Zwillinge wissen’s auch - Tessie und Lo-Lo sind so verängstigt wie sie selbst. Sogar dieser Dummkopf Shannington weiß, dass irgendwas nicht stimmt. Deshalb hat er es sich angewöhnt, möglichst wegzubleiben; er arbeitet lieber auf der Farm auf dem Festland, statt nach Duma rauszukommen.
Und der Mister? Wenn er hier ist, ärgert der Mister sich zu sehr über Adie, die nach Atlanta durchgebrannt ist, um zu sehen, was er deutlich vor Augen hat.
Nan Melda dachte anfangs, was sie vor Augen hatte, wäre nur Einbildung, ausgelöst durch die Spiele der Babbies; bestimmt sah sie nie nich Pelikane oder Reiher, die wirklich auf dem Rücken flogen, oder dass die Ferde ihr zulächelten, als Shannington mit dem Zweiergespann aus Nokomis rüberkam, um die Mädchen spazieren zu fahren. Und sie glaubte zu wissen, warum die Kleinen sich vor Charley fürchteten; auf Duma mochte es jetzt rätselhafte Dinge geben, aber das hier gehörte nicht dazu. Das hier war allein ihre Schuld, obwohl sie’s nur gut gemeint hatte...
VII »Charley!«, sagte ich. »Er heißt Charley!«
Noveen krächzte lachend ihre Zustimmung.
Ich zog den zweiten Block aus der Provianttasche - rupfte ihn geradezu heraus - und schlug ihn so rücksichtslos auf, dass der Deckel halb abriss. Ich wühlte in den Farbstiften und fand den Stummel von Libbits schwarzem Stift. Für diese Nebenzeichnung wollte ich Schwarz, und der Stummel war gerade eben noch groß genug, dass ich ihn zwischen Daumen und Zeigefinger einklemmen konnte.
»Edgar«, sagte Wireman. »Einen Augenblick lang dachte ich, ich hätte ihn gesehen... etwas wie deinen...«
»Maul halten!«, rief Noveen. »Schert euch um kein Mojo-Arm nich! Das werd ihr sehn wolln, wett ich!«
Ich zeichnete eilig, und der Jockey trat aus dem Weiß wie eine Gestalt aus dichtem Nebel. Die Skizze entstand rasch, mit überhastet
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