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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nachlässigen Strichen, aber alles Wesentliche war da: die wissenden Augen und die wulstigen Lippen, deren Grinsen entweder fröhlich oder bösartig sein konnte. Ich hatte keine Zeit, das Hemd und die Breeches zu kolorieren, aber ich fummelte den mit Plain Red bedruckten Farbstift heraus (einer von meinen), fügte die schreckliche Mütze hinzu und malte sie rot aus. Und sobald er die Mütze auf dem Kopf hatte, wusste man, was dieses Grinsen wirklich war: ein Albtraum.
    »Zeigs mir!«, rief Noveen. »Will sehn, obs richtig ist!«
    Ich hielt meine Zeichnung für die Puppe hoch, die jetzt aufrecht auf Jacks Bein saß, während Jack gegen die Wand neben der Treppe gesackt war und blicklos zum Salon hinüberstarrte.
    »Jau«, sagte Noveen. »Das is der Scheißkerl, der Meldas Mädels erschreckt hat. Ganz sicha.«
    »Was...?«, begann Wireman, dann schüttelte er den Kopf. »Ich komm nicht mehr mit.«
    »Melda hat auch den Frosch gesehn«, sagte Noveen. »Den die Babbies den Big Boy genannt hamn. Den mit Zeenen . Darauf hat Melda Libbit schließlich inner Küche gestellt. Um sie zum Redn zu bringen.«
    »Anfangs dachte Melda, dass die Kleinen mit dem Zeug über Charley sich nur gegenseitig erschrecken wollten, stimmt’s?«
    Noveen krächzte wieder, aber ihre schwarzen Knopfaugen schienen erschrocken zu starren. Doch natürlich können solche Augen jeden beliebigen Ausdruck haben, den man in sie hineinlegen will, nicht wahr? »Stimmt genau, Süßer. Aber als sie den ollen Big Boy unten auf dem Rasen gesehn hat, wie er üba de Einfaht gehopst und unner de Bäum verschwunden is...«
    Jacks Hand bewegte sich. Noveen schüttelte langsam den Kopf, wie um den Zusammenbruch von Nan Meldas Widerstandskraft anzudeuten.
    Ich schob den Zeichenblock mit Charley dem Jockey unter den anderen und hatte nun wieder das Bild aus der Küche vor mir: Nan Melda, die nach unten sah, das kleine Mädchen, das mit dem Zeigefinger auf den Lippen - Pscht! - zu ihr aufblickte, und die am Brotkasten lehnende Puppe als stumme Zeugin. »Siehst du’s?«, fragte ich Wireman. »Verstehst du’s?«
    »Sobald sie draußn war, war ziemlich bald Schluss mit lustig«, sagte Noveen. »Darauf isses rausgelaufn.«
    »Vielleicht hat Melda anfangs geglaubt, dass Shannington den Rasenjockey als eine Art Scherz von einem Platz zum anderen trägt - weil er wusste, dass die drei kleinen Mädchen Angst vor ihm hatten.«
    »Weshalb, um Himmels willen?«, fragte Wireman.
    Noveen sagte nichts, deshalb fuhr ich mit meiner fehlenden Hand über die Noveen auf meiner Zeichnung - die an den Brotkasten gelehnte Noveen -, und sofort sprach die auf Jacks Knie weiter. Wie ich irgendwie gewusst hatte, dass sie es tun würde.
    »Nanny hats echt nich bös gemeint. Sie wusst, dasse Angst vor Charley hattn - das war, bevor die bösn Sachen angefangen ham -, und so hat se ihn ne Gutenachtgeschichte erzählt, um zu versuchen, alles besser zu machen. Hats aber alles schlimma gemacht, wies bei klein Kinnern oft is. Dann is die böse Frau gekomm - die böse weiße Frau ausm Meer -, un die Schlampe hats noch schlimma gemacht. Sie hat Libbit zum Scherz dazu gebracht, Charley lebendig zu zeichnen. Sie hatt’ noch annere Scherze auf Lager.«
    Ich schlug das Blatt um, auf dem Libbit pscht! machte, nahm die Gebrannte Umbra aus der Gürteltasche - wessen Stifte ich benutzte, schien keinen Unterschied mehr zu machen - und skizzierte nochmals die Küche. Hier war der Tisch, auf dem Noveen mit einem Arm wie flehend über den Kopf erhoben auf der Seite lag. Hier war Libbit, die diesmal ein Strandkleid trug und bestürzt wirkte, was ich mit nicht mehr als einem halben Dutzend rasch hingeworfener Striche ausdrückte. Und hier war Nan Melda, die vor dem offenen Brotkasten zurückwich und laut kreischte, weil darin …
    »Ist das eine Ratte?«, fragte Wireman.
    »Großes olles blindes Waldmurmeltier«, sagte Noveen. »Eigentlich nix anners als Charley. Sie hat Libbit dazu gebracht, es im Brotkastn zu zeichnen, und es war im Brotkastn. Ein Scherz. Libbit tat’s leid, aber der bösen Wasserfrau? Nah-na. Der hat nie was leidgetan.«
    »Und Elizabeth - Libbit - musste zeichnen?«, sagte ich.
    » Das weißt du«, sagte Noveen. »Hab ich recht?«
    Ja, das wusste ich. Weil Talent hungrig ist.
     
     
     
     
     
    VII Es war einmal ein kleines Mädchen, das sich bei einem Sturz auf genau die richtige Weise am Kopf verletzte. Und das gab jemandem - einem weiblichen Wesen - die Möglichkeit, ihren sprichwörtlich

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