Wahn - Duma Key
Außer den beiden letzten, meine ich. Die sind offenbar viel früher entstanden.«
Ich wusste nicht, wie etwas von mir »viel früher« entstanden sein sollte, da ich doch erst seit ein paar Monaten malte, aber als ich meinen Blick über die Bilder gleiten ließ, sah ich, dass er recht hatte. Ich hatte die Gemälde nicht chronologisch anordnen wollen - zumindest nicht bewusst -, aber genau das hatte ich getan.
»Ja«, sagte ich. »Vom frühesten bis zum neuesten.«
Ich deutete auf die letzten vier Bilder, die ich für mich als meine Sonnenuntergangs-Montagen bezeichnete. Eines hatte ich durch ein Nautilus-Gehäuse ergänzt, eines durch eine CD mit dem quer aufgedruckten Wort Memorex (und der Sonne, die rot durch das Loch schien), das dritte durch eine tote Möwe, die ich am Strand gefunden und hier zur Größe eines Flugsauriers aufgeblasen hatte. Das nach einem Digitalfoto gemalte letzte Gemälde zeigte das Muschelbett unter dem Big Pink. Irgendwie hatte ich den Drang verspürt, es durch Rosen zu ergänzen. Um das Big Pink herum wuchsen keine, aber mein neuer Kumpel Google hielt jede Menge Fotos bereit.
»Diese letzte Gruppe von Bildern«, sagte er. »Wer hat die gesehen? Deine Tochter?«
»Nein. Die habe ich erst nach ihrer Abreise gemalt.«
»Der junge Mann, der bei dir arbeitet?«
»Nee.«
»Und du hast deiner Tochter natürlich nie die Skizze gezeigt, die du von ihrem Fr...«
»Um Himmels willen! Soll das ein Witz sein?«
»Nein, natürlich hast du’s nicht getan. Sie besitzt ihre eigene Macht, so hastig sie auch hingeworfen ist. Was die übrigen Bildet angeht...« Er lachte. Ich merkte plötzlich, dass er ganz aufgeregt war, und wurde selbst aufgeregt.Aber ich blieb auch vorsichtig. Denk daran, dass er Anwalt war, ermahnte ich mich. Er ist kein Kunstkritiker. Auch wenn er sich vielleicht für einen hält.
»Der Rest dieser verdammten Dinger...« Er ließ wieder dieses hektische kleine Lachen hören. Er machte einen Rundgang durch den Raum, wobei er mit unbewusster Grazie, um die ich ihn heftig beneidete, über das Laufband hinwegstieg. Er raufte sich mit beiden Händen sein ergrauendes Haar, als wollte er seinem Gehirn mehr Luft verschaffen.
Endlich kam er zurück. Blieb vor mir stehen. Baute sich geradezu vor mir auf. »Hör zu. Die Welt hat dir im vergangenen Jahr recht übel mitgespielt, und ich weiß, so was lässt eine Menge Gas aus dem Selbstbild-Airbag. Aber erzähl mir nicht, dass du nicht wenigstens fühlst , wie gut deine Bilder sind.«
Ich erinnerte mich, wie wir uns beide von unserem wilden Lachanfall erholt hatten, während die Sonne durch den eingerissenen Schirm schien und kleine Kringel auf den Tisch malte. Wireman hatte gesagt: Ich weiß, was du durchmachst, und ich hatte geantwortet: Das bezweifle ich sehr. Nun tat ich das nicht mehr. Er wusste es. Auf diese Erinnerung an den Vortag folgte der nüchterne Wunsch - kein Hunger, sondern ein gewisser Drang -, Wireman auf Papier zu bannen. Eine Kombination aus Porträt und Stillleben: Anwalt mit Obst und Pistole .
Er tätschelte mir mit einer breitfingrigen Hand dieWange. »Erde an Edgar. Bitte melden, Edgar.«
»Ah, verstanden, Erde«, hörte ich mich sagen. »Hier ist Edgar.«
»Also, was sagst du, muchacho? Hand aufs Herz! Hast du gespürt, dass sie gut sind, als du sie gemalt hast, oder nicht?«
»O ja«, sagte ich. »Ich hab mich gefühlt, als würde ich den Leuten in den Arsch treten und all die Berühmtheiten zurück auf den Teppich holen.«
Er nickte. »Die simpelste Tatsache in Bezug auf Kunst ist, dass gute Kunst sich fast immer für den Künstler gut anfühlt. Und für den Betrachter. Den engagierten Betrachter, der wirklich hinsieht...«
»Ich schätze, du meinst dich«, sagte ich. »Jedenfalls hast du lang genug hingesehen.«
Er lächelte nicht. »Wenn ein Bild gut ist und der Betrachter sich ihm öffnet, entsteht ein emotionaler Knall. Ich hab den Knall gefühlt, Edgar.«
»Gut.«
»Und ob. Und wenn der Scoto-Typ sie zu sehen kriegt, wird’s ihm genauso gehen. Darauf wette ich.«
»So besonders sind sie nicht«, sagte ich. »Aufgewärmter Dalí, wenn man’s genau nimmt.«
Er legte mir einen Arm um die Schultern und führte mich zur Treppe. »Das will ich gar keiner Antwort würdigen. Wir werden auch nicht über die Tatsache sprechen, dass du den Freund deiner Tochter anscheinend mithilfe irgendeiner verrückten Phantomglied-Telepathie gezeichnet hast. Ich wollte, ich könnte dieses Bild mit den Tennisbällen
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