Wahn - Duma Key
Wiremans Rumpf hob und senkte sich eine Handbreit, während seine Gesäßmuskeln sich verkrampften und wieder lösten.
Seine auf dem Bauch liegenden Hände zuckten. Seine Lippen schmatzten, als koste er etwas besonders Delikates. Und seine Augen sahen wieder so aus wie vor dem Parkhaus. Bei Mondschein wirkte dieser Nach-oben-und-unten-Blick bizarrer, als ich mitWorten hätte beschreiben können. Aus seinem linken Mundwinkel lief ein Speichelfaden; eine Träne aus dem wässrigen linken Auge versickerte in der buschigen Kotelette.
Nach ungefähr zwanzig Sekunden war der Anfall vorüber. Wireman blinzelte, und seine Augen kehrten wieder in ihre normale Stellung zurück. Er schwieg ungefähr eine Minute lang. Oder auch zwei. Als er sah, dass ich ihn beobachtete, sagte er: »Ich würde einen Mord für einen weiteren Drink oder ein Erdnussbutter-Sandwich begehen, aber ein Drink kommt wohl nicht infrage, was?«
»Wahrscheinlich nicht, wenn du sie nachts klingeln hören willst«, sagte ich - hoffentlich ganz ungezwungen.
»Brücke nach Duma Key voraus«, meldete Jack. »Wir sind fast da, Leute.«
Wireman setzte sich auf und reckte sich. »War ein toller Tag, aber ich bin froh, wenn ich heute Abend im Bett liege, Jungs. Werd anscheinend alt, was?«
X Obwohl mein Bein steif war, stieg ich aus dem Van und stand neben ihm, als er das Eisenkästchen neben dem Tor öffnete, in dem sich ein Tastenfeld auf dem letzten Stand der Technik befand.
»Danke, dass du mitgekommen bist, Wireman.«
»Klar«, sagte er, »aber wenn du mir noch einmal dankst, muchacho , muss ich dir einen Kinnhaken verpassen. Sorry, aber es geht nicht anders.«
»Gut zu wissen«, sagte ich. »Danke für die Warnung.«
Er lachte und schlug mir auf die Schulter. »Du gefällst mir, Edgar. Du hast Stil, du hast Klasse, wie gern ich mir von dir den Arsch küssen lasse.«
»Wundervoll. Mir kommen die Tränen. Hör zu, Wireman...«
Ich hätte ihm erzählen können, was vorhin mit ihm passiert war. Ich war sogar dicht davor.Aber letztlich ließ ich es doch bleiben. Ich wusste nicht, ob das die richtige Entscheidung war, aber ich wusste, dass ihm womöglich eine lange Nacht mit Elizabeth Eastlake bevorstand. Außerdem saßen in meinem Hinterkopf noch immer diese Kopfschmerzen. Ich beschränkte mich darauf, ihn nochmals zu fragen, was mit dem gemeinsamen Arztbesuch war.
»Ich werd drüber nachdenken«, sagte er. »Und lass es dich wissen.«
»Aber warte nicht zu lange, weil...«
Er hob eine Hand, um mich zum Schweigen zu bringen, und ausnahmsweise lächelte er nicht. »Lass es gut sein, Edgar. Genug für einen Abend, okay?«
»Okay«, sagte ich, sah ihm nach, als er hineinging, und kehrte zurück zum Van.
Jack hatte das Autoradio aufgedreht. Es spielte »Renegade«. Er wollte die Musik leiser stellen, aber ich sagte: »Nein, das ist in Ordnung. Dreh richtig auf.«
»Echt?« Er wendete und fuhr die Straße zurück. »Scheint’ne tolle Band zu sein. Hast du die schon mal gehört?«
»Jack«, sagte ich, »das sind Styx. Dennis DeYoung? Tommy Shaw? Wo hast du dein ganzes Leben lang gesteckt? In einer Höhle?«
Jack lächelte schuldbewusst. »Ich höre meistens Country und noch lieber die alten Standards«, sagte er. »Wenn ich ganz ehrlich sein soll, bin ich sogar eher der Rat-Pack-Typ.«
Bei der Vorstellung, Jack Cantori könnte ein Fan von Dino und Frank sein, fragte ich mich - nicht zum ersten Mal an diesem Tag -, ob das alles wirklich passierte. Und ich fragte mich, wieso ich wusste, dass Dennis DeYoung und Tommy Shaw bei Styx gewesen waren - sogar dass Shaw den Song geschrieben hatte, der jetzt aus den Lautsprechern des Vans dröhnte -, mich aber manchmal nicht an den Namen meiner Exfrau erinnern konnte.
XI Am Anrufbeantworter neben dem Wohnzimmertelefon blinkten beide Lämpchen: das eine, das Nachrichten anzeigte, und das andere, das mir verriet, dass der Nachrichtenspeicher voll war. Aber laut der Zahl im Display war überhaupt nur eine Nachricht gespeichert. Ich betrachtete die 1 mit einem unguten Gefühl, wobei meine Kopfschmerzen sich etwas nach vorn zu verlagern schienen. Die einzigen Menschen, denen ich zutraute, mit einer einzigen Nachricht meinen Speicher aufzubrauchen, waren Pam und Ilse, und in beiden Fällen verhieß die Abspieltaste keine guten Neuigkeiten. Man braucht keine fünf Minuten, um zu sagen: Mir geht’s gut, ruf mich an, wenn du Zeit hast.
Das hat Zeit bis morgen, dachte
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