Wahn - Duma Key
ich, und eine feige Stimme, von der ich gar nicht wusste, dass sie zu meinem geistigen Repertoire gehörte (vielleicht war sie neu), wollte sogar noch weiter gehen. Sie schlug mir vor, die Nachricht zu löschen, ohne sie zuvor abzuhören.
»Mach ich, klar«, sagte ich. »Und wenn diejenige noch mal anruft, erzähle ich ihr einfach, dass der Hund den Anrufbeantworter gefressen hat.«
Ich drückte auf PLAY. Und wie’s so oft passiert, wenn wir zu wissen glauben, was uns erwartet, lag ich voll daneben. Die Anruferin war weder Pam noch Ilse. Die keuchende, leicht asthmatische Stimme aus dem Anrufbeantworter gehörte Elizabeth Eastlake.
»Hallo, Edgar«, sagte sie. »Man hofft, dass Sie einen erfolgreichen Nachmittag hatten und Ihren abendlichen Ausflug mit Wireman ebenso genießen wie ich meinen Abend mit Miss... nun, ich vergesse ihren Namen, aber sie ist sehr freundlich. Und man hofft, dass Sie gemerkt haben, dass ich mich an Ihren Namen erinnert habe . Ich genieße eine meiner wachen Perioden. Ich liebe und schätze sie, aber sie machen mich auch traurig. Man kommt sich vor wie in einem Segelflugzeug, das von einer Bö über flachen Bodennebel gehoben wird. Für kurze Zeit kann man alles ganz klar sehen... und zugleich weiß man, dass der Wind nachlassen und man mit seinem Segelflugzeug wieder in den Nebel eintauchen wird. Sie verstehen, was ich meine?«
Das verstand ich nur allzu gut. Inzwischen ging es mir besser, aber das war die Welt gewesen, in der ich aufgewacht war - in der Worte sich sinnlos veränderten und Erinnerungen überall verstreut waren wie Gartenmöbel nach einem Sturm. Es war eine Welt gewesen, in der ich bei dem Versuch, mit Leuten zu kommunizieren, um mich geschlagen und anscheinend nur zwei Gefühlszustände gekannt hatte: Angst und Wut. Man überwindet diesen Zustand (wie Elizabeth vielleicht gesagt hätte), kann sich aber später nie von der Überzeugung frei machen, dass die Realität fadenscheinig ist. Hinter ihrem Schleier? Chaos. Wahnsinn. Vielleicht die reale Wahrheit, und die reale Wahrheit ist rot.
»Aber genug von mir, Edgar. Ich rufe an, um Ihnen eine Frage zu stellen. Sind Sie jemand, der Kunst für Geld produziert, oder glauben Sie an Kunst um der Kunst willen? Das habe ich Sie bestimmt schon gefragt, als wir uns kennengelernt haben - dessen bin ich mir fast sicher -, aber ich kann mich nicht an Ihre Antwort erinnern. Ich glaube, dass es Kunst um der Kunst willen sein muss, sonst hätte Duma Sie nicht gerufen. Aber wenn Sie lange hier bleiben...«
Unüberhörbare Besorgnis in ihrer Stimme.
»Edgar, man ist sich sicher, dass Sie ein sehr netter Nachbar sein werden. Daran zweifle ich nicht im Geringsten, aber Sie müssen Vorsichtsmaßnahmen treffen. Ich denke, Sie haben eine Tochter, und glaube, dass sie Sie besucht hat. Das hat sie doch getan? Ich scheine mich daran zu erinnern, dass sie mir zugewinkt hat. Ein hübsches Ding mit blondem Haar? Ich verwechsle sie vielleicht mit meiner Schwester Hannah - ich neige zu Verwechslungen, das weiß ich -, aber in diesem Fall liege ich richtig, glaube ich.Wenn Sie bleiben wollen, Edgar, dürfen Sie Ihre Tochter nicht wieder einladen. Unter keinen Umständen! Duma Key ist kein sicherer Ort für Töchter.«
Ich stand da und blickte auf das Gerät hinunter. Nicht sicher. Beim ersten Mal hatte sie ›nicht glücklich‹ gesagt, zumindest laut meiner Erinnerung. Bedeuteten diese Wörter das Gleiche oder nicht?
»Und Ihre Kunst. Auch Ihre Kunst gilt es zu bedenken.« Ihre Stimme klang entschuldigend und ein bisschen atemlos. »Man sagt einem Künstler nicht gern, was er tun soll; tatsächlich kann man einem Künstler gar nicht sagen, was er tun soll, und trotzdem... ach, du liebe Güte...« Ihre Worte gingen in das lockere, rasselnde Husten einer lebenslänglichen Raucherin über. »Man spricht diese Dinge nicht gern direkt an... weiß vielleicht nicht, wie man sie direkt ansprechen soll... aber darf ich Ihnen einen guten Rat geben, Edgar? Als eine, die Kunst nur noch genießt, an einen, der sie erschafft? Darf ich mir das herausnehmen?«
Ich wartete. Der Anrufbeantworter schwieg. Ich vermutete, dass an dieser Stelle der Speicher voll gewesen war. Unter meinen Füßen murmelten die Muscheln leise, als tauschten sie Geheimnisse aus. Die Pistole, das Obst. Das Obst, die Pistole. Dann wieder von vorn.
»Sollten die Leute, die die Scoto oder die Avenida führen, Ihnen anbieten, Ihre Bilder auszustellen, rate ich Ihnen sehr dringend, diese
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