Wahn - Duma Key
Chance zu ergreifen. Damit andere sich daran erfreuen können, versteht sich, aber auch, damit möglichst bald ein Großteil Ihrer Arbeiten Duma verlässt.« Sie holte hörbar tief Luft wie eine Frau, die sich daran macht, eine mühsame Arbeit zu Ende zu bringen. Auch wirkte sie unbestreitbar vernünftig, hellwach und voll auf der Höhe. » Lassen Sie nicht allzu viele zusammenkommen. Das ist mein Rat an Sie, gut gemeint und ohne irgend… irgendwelche persönlichen Absichten? Ja, das meine ich. Lässt man zu, dass sich zu viel Kunst ansammelt, ist es nicht anders, als würde man eine Autobatterie zu weit aufladen. Tut man das, kann sie explodieren.«
Ich hatte keine Ahnung, ob das wirklich stimmte, aber ich verstand, was sie meinte.
»Ich kann Ihnen nicht sagen, weshalb, aber es ist so«, fuhr sie fort... und ich hatte eine jähe Intuition, dass sie in diesem Punkt log. »Und wenn Sie an Kunst um der Kunst willen glauben, ist das Gemälde doch der wichtigste Teil, nicht wahr?« Ihre Stimme klang jetzt fast schmeichlerisch. »Auch wenn Sie Ihre Bilder nicht verkaufen müssen, um Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, geht es doch darum, sie mit anderen zu teilen... sie der Welt zu schenken... das ist doch auch Künstlern wichtig, nicht wahr? Dieses Schenken?«
Woher sollte ich wissen, was Künstlern wichtig war? Ich hatte erst heute erfahren, womit ich meine fertigen Gemälde fixieren musste. Ich war ein... wie hatten Mary Ire und Nannuzzi mich genannt? Ein echter Vertreter der naiven Kunst.
Wieder eine Pause. Dann: »Ich denke, ich höre jetzt lieber auf. Ich habe gesagt, was ich auf dem Herzen hatte. Aber bitte denken Sie darüber nach, was Sie beachten sollten, wenn Sie bleiben wollen, Edward. Und ich freue mich darauf, dass Sie mir vorlesen werden. Hoffentlich viele Gedichte. Das wird ein Genuss. Bis dahin leben Sie wohl. Danke, dass Sie einer alten Frau zugehört haben.« Eine Pause. Dann sagte sie: »Der Tisch ist leck. Es muss sein. Tut mir so leid.«
Ich wartete zwanzig Sekunden lang, dann dreißig. Ich war eben zu dem Schluss gelangt, dass sie vergessen haben musste aufzulegen, und wollte die Stopptaste des Anrufbeantworters drücken, als sie erneut zu sprechen begann. Nur vier Wörter, mit denen ich nicht mehr anfangen konnte als mit dem lecken Tisch, aber sie verursachten trotzdem eine Gänsehaut auf meinen Armen und ließen mir die Nackenhaare zu Berge stehen.
»Mein Vater war Sporttaucher«, sagte Elizabeth Eastlake. Jedes Wort war klar und deutlich betont. Dann folgte das unverkennbare Klicken, mit dem sie den Hörer auflegte.
»Keine weiteren Nachrichten«, sagte eine elektronische Stimme. »Der Speicher ist voll.«
Ich starrte weiter auf den Anruf beantworter hinab, überlegte, ob ich die Nachricht löschen sollte, und ließ sie dann gespeichert, um sie Wireman vorspielen zu können. Ich zog mich aus, putzte mir die Zähne und kroch ins Bett. Ich lag im Dunkeln und fühlte das sanfte Pochen in meinem Kopf, während unter mir die flüsternden Muscheln endlos ihren letzten Satz wiederholten: Mein Vater war Sporttaucher.
8
Familienporträt
I Die Dinge beruhigten sich einige Zeit lang. Das passiert manchmal. Der Topf kocht, und kurz bevor er überkochen kann, dreht irgendeine Hand - Gott, das Schicksal, vielleicht bloßer Zufall - die Flamme kleiner. Als ich einmal mit Wireman darüber sprach, sagte er, das Leben sei wie der Freitag in einer Seifenoper. Es füttert einen mit der Illusion, es werde für alles eine Lösung geben, und dann fängt am Montag wieder derselbe alte Scheiß an.
Ich dachte, er würde mit mir zum Arzt gehen, und wir würden herausbekommen, was ihm fehlte. Ich dachte, er würde mir erzählen, warum er sich in den Kopf geschossen hatte - und wie man so etwas überlebte. Die Antwort schien zu lauten: »Mit Anfällen und kaum noch imstande, Kleingedrucktes zu lesen.« Vielleicht würde er mir sogar erzählen können, wieso seine Arbeitgeberin die fixe Idee hatte, Ilse unbedingt von Duma Key fernzuhalten. Und die Krönung: Ich würde entscheiden, wie es mit dem Leben von Edgar Freemantle, dem großen Vertreter der naiven Kunst, weitergehen sollte.
Nichts von alledem geschah tatsächlich, zumindest nicht gleich. Das Leben bringt Veränderungen mit sich, und die Resultate sind mitunter explosiv, aber in Seifenopern und im richtigen Leben haben starke Sprengsätze oft eine lange Zündschnur.
Wireman erklärte sich bereit, mit mir zum Arzt zu gehen und »sich den Kopf untersuchen
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