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Wahnsinn

Titel: Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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hast eindeutig etwas gehört. Vielleicht hast du ja auch Robert gehört. Klar, es ist Robert da unten.
    Doch so richtig überzeugt war sie nicht.
    Sie ging die Treppe hinunter, wobei sie sich mit der einen Hand am Geländer festhielt, während sie mit der anderen die Waffe umklammerte. Diese Hand war inzwischen schweißnass.
    Auf dem Treppenabsatz vernahm sie das Geräusch von Metall auf Porzellan.
    Die Kette der Tischlampe am Fenster.
    Sie spähte um die Ecke und brachte die .38er in Anschlag.
    Er kniete auf dem Sofa. Reglos. Stützte sich mit den Ellbogen auf die Sofalehne und starrte aus dem Fenster. Rasch ließ sie den Revolver in die tiefe Tasche ihres Nachthemds gleiten und hoffte, dass er den klobigen, dunklen Gegenstand nicht bemerken würde.
    Sie ging zu ihm und berührte seine Schulter.
    »Robert?«
    Er nahm sie überhaupt nicht wahr. Starrte unentwegt weiter aus dem Fenster. Schlafwandelt er?, fragte sie sich. Bitte, lieber Gott, nicht auch noch das.
    »Robert?«
    »Er ist da draußen«, sagte er.
    »Wer?«
    Doch sie wusste es bereits.
    »Glaubst du, dass er reinkommt?«, fragte er.
    »Daddy?«
    Er nickte.
    Sie sah aus dem Fenster. Der Rasen vor dem Haus und die Böschung bis zur Straße hinunter waren völlig verlassen.
    »Wo siehst du ihn denn? Wo ist er?«
    »Da.«
    Er deutete auf die alte Ulme, die fast in der Mitte der Rasenfläche stand.
    »Ich bin wach geworden, da habe ich ihn vom Fenster aus gesehen und bin runtergekommen.«
    Er klang einigermaßen gefasst. Aber seine Augen waren weit aufgerissen.
    »Er versteckt sich« , sagte er.
    »Warte hier.«
    Im Flurschrank fand sie ein paar Stiefel. Sie griff sich einen Mantel von der Garderobe und schlüpfte hinein. Robert starrte immer noch aus dem Fenster. Sie steckte den Revolver in die Manteltasche, schloss die Haustür auf und ging hinaus.
    Sie zog die Tür so leise wie möglich hinter sich zu.
    Mit beiden Händen tief in den Manteltaschen ging sie auf den Baum zu. Stiefel und Mantel richteten gegen die Kälte nichts aus, trotzdem fühlte sich ihr Gesicht an, als würde es in Flammen stehen. Die Hand mit dem Revolver war mittlerweile schweißnass. Erst ging sie schnell, doch je näher sie ihrem Ziel kam, desto mehr verlangsamten sich ihre Schritte.
    Sie ging in weitem Bogen rechts um den Baum herum, bis sie dahinter sehen konnte.
    Nichts.
    Um absolut sicher zu sein, ging sie um die Ulme herum. Umkreiste sie.
    Vor Erleichterung bekam sie weiche Knie.
    Er war nicht da.
    Sie fragte sich, was sie zu ihm gesagt oder mit ihm gemacht hätte, wenn er hier gestanden hätte.
    Als sie zum Haus zurückkehrte, dachte sie an das, was Robert gesagt hatte.
    Er versteckt sich.
    Aber das stimmte nicht. Jedenfalls nicht wortwörtlich. Dieses Mal nicht. Robert hatte ihn sich draußen hinter dem Baum bloß eingebildet, hatte ihn im Traum zweifellos gesehen, und war dann, noch immer verängstigt und schlaftrunken, die Treppe hinuntergegangen. Aber in einem weniger wortwörtlichen Sinn hatte er vollkommen Recht.
    Natürlich versteckte er sich.
    Näher würde Robert der Wahrheit über seinen Vater wahrscheinlich nie kommen, als dies auszusprechen und zu begreifen.
    Es war die größte Anschuldigung, zu der er fähig war.

22
Die Verhandlung: zweiter Tag
    Während sie Andrea Stone im Gerichtssaal gegenübersaß und auf Owen Sansom wartete, versuchte sie, die Zeitung zu lesen. Sie hatte schon seit Tagen keinen Blick in die Zeitung geworfen, dennoch konnte sie sich momentan nicht richtig konzentrieren. Die einzelnen Artikel wirkten auf sie konfus wie ein Traum. Sie flossen ineinander, ohne dass irgendetwas irgendeinen Sinn ergab.
    Ein Bericht erregte aber ihre Aufmerksamkeit: In New York war eine siebenundzwanzigjährige Frau aus einem Vorort verhaftet worden, weil sie ihre Kinder unbeaufsichtigt allein zu Hause gelassen hatte, um sich in einem Nachbarort zu prostituieren. Die Frau war vor über einem Jahr von ihrem Ehemann – einem Rechtsanwalt – sitzengelassen worden und hatte seitdem keine Unterhaltszahlungen von ihm erhalten. Da sie keine Ausbildung besaß, hatte sie keine Arbeit gefunden. Ihre beiden Söhne – sieben und neun – waren nach der Verhaftung in Kinderheimen untergebracht worden. Die Frau gab an, dass sie der Prostitution nur nachgegangen sei, um für die beiden sorgen zu können.
    Lydia dachte darüber nach, wie schrecklich es sein musste, wenn man so verzweifelt war, dass man keinen anderen Ausweg mehr sah. Diese Frau hatte, falls ihre Geschichte

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