Wahnsinn
tatsächlich masochistisch veranlagt sein könnte?«
»Ganz im Gegenteil. Er war äußerst scheu, wenn es darum ging, ihn anzufassen. Dieser junge Mann findet sicher keinen Gefallen an Schmerzen.«
»Vielen Dank, Doktor Hessler. Keine weiteren Fragen.«
Obwohl sie den Thermostat bereits aufgedreht hatte, war es ziemlich kalt im Schlafzimmer. Irgendwie funktionierte die Heizung nicht richtig. Sie lag im Dunkeln unter der Bettdecke und überlegte, ob sie sich noch eine weitere Decke aus dem Schlafzimmerschrank holen sollte. Doch die Erschöpfung hielt sie im Bett zurück und ließ sie darüber hinaus seltsamerweise nicht einschlafen. Sie grübelte.
Der Tag war, trotz mancher Rückschläge, alles in allem ganz gut verlaufen. Owen Sansom war derselben Meinung gewesen.
Das Problem war der morgige Tag.
Morgen war sie an der Reihe.
Wenn Robert bloß aussagen würde, dachte sie. Wenn er doch bloß den Mund aufmachen würde.
Als sie ihn nach dem Gerichtstermin bei Cindy abgeholt und nach Hause gefahren hatte, hatte sie einen erneuten Versuch gewagt. Sie wollte ihn ermutigen, hatte versprochen, ihn zu beschützen. Hatte ihm versichert, dass ihm nichts zustoßen würde, wenn er etwas sagte.
Allmählich verlor sie die Geduld.
Sie konnte seinen Widerwillen angesichts dessen, was hier vor sich ging, einfach nicht verstehen.
Daher hatte sie ihn zu sehr unter Druck gesetzt und schließlich zum Weinen gebracht.
Nicht zum ersten Mal.
Aber es waren nicht nur Schuldgefühle, die sie nachts wach hielten.
Kaum waren sie zu Hause angekommen, rief sie Barbara an. Sie hatte ihre Schwester in letzter Zeit ein bisschen vernachlässigt. Es fiel ihr schwer, immer und immer wieder über die ganze Sache zu sprechen – selbst mit ihr. Barb hatte vor Gericht als Leumundszeugin für sie aussagen wollen, aber Sansom meinte, dass Barbaras Aussage als Familienmitglied nur wenig Gewicht haben würde. Außerdem hatte sie gerade erst einen neuen Job angenommen. Also kamen sie zu dem Schluss, dass sie bei sich zu Hause blieb. Wenn Liddy Hilfe brauchte, war Cindy für sie da.
Doch in diesem Moment brauchte sie aus irgendeinem Grund familiären Beistand.
Sie erzählte ihrer Schwester, wie schuldig sie sich fühlte.
»Du machst das alles für ihn« , antwortete Barbara. »Nicht für dich. Du machst das, um Arthur aufzuhalten, vergiss das nicht. Natürlich bist du frustriert. Wie könnte es auch anders sein?«
Diese Worte waren Balsam für sie. Dennoch wusste Lydia, dass sie Robert mit alldem auch etwas antat. Ihn damit verletzte. An dieser Erkenntnis führte kein Weg vorbei. Sie drängte ihn, schlimme Dinge über einen Mann zu sagen, den er zeit seines Lebens geliebt hatte. Und den er wahrscheinlich, trotz allem, noch immer liebte.
Wenn nicht, dann nicht, dachte sie. Gib es auf. Hier musst du ohne seine Hilfe durch. Du musst es in die eigene Hand nehmen.
Und Morgen war es so weit, und dieser Gedanke ließ sie nicht einschlafen.
Sie brauchte noch eine zusätzliche Decke. Es war viel zu kalt im Zimmer.
Sie stand auf und ging zum Kleiderschrank. Die Bodendielen unter ihren Füßen waren eiskalt. Sie nahm eine schwere Steppdecke vom Regal, breitete sie über dem Bett aus und schlüpfte darunter. Schon besser.
Im unteren Stockwerk polterte irgendetwas gegen einen Tisch.
Sie hörte Schritte. Ein Bodenbrett knarrte.
Sie dachte an die Kälte. Vielleicht lag es gar nicht am Thermostat.
Ein offenes Fenster?
Als sie zu Bett gegangen war, hatte sie alle Fenster überprüft. Schließlich war Winter, und die Fenster waren seit Monaten geschlossen.
Ein Einbrecher.
Arthur.
Sie stand abermals auf und ging so rasch wie möglich zum Kleiderschrank. Die .38er Ladysmith, die er für sie besorgt hatte, lag hinter Schuhen und Bettwäsche versteckt in einem Schuhkarton. Sie hatte die Waffe nicht angerührt seit Arthur weg war, aber sie wusste, dass sie, wie alle seine Waffen, geladen und gesichert war und sich eine Kugel in der Kammer befand.
Der Metallgriff fühlte sich wie Eis an.
Ihre Kehle schnürte sich zusammen, ihr Herz hämmerte plötzlich wie wild, als hätte die Waffe einen Stromstoß abgegeben.
Sie ging zur Treppe. Am liebsten hätte sie sofort nach Robert gesehen, aber sein Zimmer lag am anderen Ende des Flurs und die Tür war verschlossen. Wer auch immer da unten war, würde womöglich den Riegel schnappen hören, wenn sie die Tür öffnete.
Falls jemand da unten war.
Falls sie sich das nicht bloß einbildete.
Nein, dachte sie, du
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