Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wahnsinn

Titel: Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
Vom Netzwerk:
werden erschossen, Liddy!«
    Ruth starrte sie ruhig an.
    »Hast du das gehört? Hörst du, was er sagt? Er sagt, wies ist«, meinte sie.
    »Mom! Bitte! Lauf weg!«
    Und da wusste sie, dass sie besser die Beine in die Hand nahm, dass diese Leute total durchgeknallt waren, dass sie sie über den Haufen schießen und anschließend behaupten würden, sie hätten sie irrtümlich für eine Einbrecherin gehalten, die mitten in der Nacht, ohne Auto und ohne Begründung für ihr Auftauchen ums Haus geschlichen war. So etwas kommt eben vor. Und sie würden sogar damit durchkommen, sie könnten sie in diesem Augenblick erschießen und sie sich ein für alle Mal vom Hals schaffen.
    Sie rappelte sich auf. Dann sah sie Robert an.
    »Ich komme wieder …«
    »Du kommst besser nicht wieder, Fräulein«, fauchte Ruth.
    Sie schenkte ihr keine Beachtung.
    »Robert, ich …«
    Doch Robert starrte jetzt in den Flur, was er dort sah, erfüllte ihn offensichtlich mit Panik. Er rang mit Arthur, schrie Lauf, lauf! , und sie stieß die Haustür auf und stürzte die Stufen hinunter. Sie hörte die Tür hinter sich zuknallen und dann wieder auffliegen und gegen die Hauswand krachen und wusste in diesem Moment, dass es der stille, traurige alte Harry war, der mit seiner Schrotflinte hinter ihr her war.
    Sie rannte übers Feld und sah sich nicht um, bis sie den Waldrand erreichte. Harry hatte das Feld zur Hälfte durchquert und lief ihr nach, das Gewehr über seiner Schulter in den Sternenhimmel gerichtet. Sie suchte in ihrer Jackentasche nach der Taschenlampe, bis ihr aufging, dass der Lichtschein sie verraten würde. Also bahnte sie sich blindlings und mit ausgestreckten Armen einen Weg durch Gestrüpp, Bäume und Äste.
    Unter ihr hörte sie den Bach über den Hügel plätschern und hielt darauf zu. Sie konnte dem Bachlauf abwärts folgen und einen Ort finden, an dem sie sich vor ihm verstecken und auf Cindy warten konnte. Da spürte sie etwas Feuchtes in ihrer linken Hand. Blut schimmerte schwarz im Mondlicht. Sie glaubte, ihn hinter sich zu hören, und versuchte, weiter voranzukommen. Aber der Wald stand hier dichter. Sie stolperte und stürzte, ihr Herz raste, ihr Atem ging schwer und stoßweise. Sie stemmte sich hoch und spürte erneut einen stechenden Schmerz, als ein abgebrochener Ast über ihr Handgelenk schrammte.
    Der Bach war ganz in der Nähe. Sie konnte ihn plätschern hören.
    Und dann sah sie das Wasser direkt unter sich.
    Sie schlitterte über die Uferböschung in das Kiesbett. Das Wasser bedeckte während des kalten, trockenen Winters gerade einmal seine Mitte – und blieb dort einen Moment stehen. Ohne zu begreifen, was, in Gottes Namen, sie da sah, richtete sie den Blick auf …
    … einen unförmigen Umriss. Ein Etwas.
    Etwas Dunkles in der Mitte des Baches.
    Das Wasser rauschte glitzernd darum herum.
    Sie sah die hoch aufragende, runde Kuppe des Dings und den langen, schlanken Rumpf, der wie ein gestrandetes Seeungeheuer halb im Wasser lag.
    Sie ging näher heran, bis sie schließlich erkannte, was es war.
    Arthurs Lincoln.
    Er hatte seinen kostbaren, mittlerweile von der Strömung umspülten Lincoln in der Mitte des Wasserlaufs versenkt.
    Weiter oben, rechts von ihr, konnte sie erkennen, wo die Büsche und Schösslinge der Uferböschung unter dem Gewicht des Autos eingeknickt und zermalmt worden waren, als der Wagen zum Bachsaum hinunter und ins Wasser gerollt war.
    Sie fragte nicht lange nach dem Grund.
    Das musste sie nicht.
    Er war wahnsinnig.
    Sie musste Robert befreien.
    Sie kauerte sich einen Augenblick lang hin und lauschte, konnte Harry jedoch nicht mehr hinter sich hören. Vielleicht hatte er aufgegeben. Vielleicht fand er keinen Gefallen mehr an seinem Vorhaben.
    Vielleicht aber doch.
    Sie blieb in der Nähe der steilen Uferböschung und ging vorsichtig mit der Strömung durch die Schatten.

    Sie hörte das Auto auf der Brücke und hangelte sich die Uferbefestigung hinauf.
    »Jesus! Lyd! Was …?«
    »Fahr los!«, rief sie.
    Sie hatte nichts mehr von Harry gehört oder gesehen, aber sie wollte es dennoch nicht darauf ankommen lassen. Eines war ihr während der langen Wartezeit in ihrem Versteck unter der Brücke vollkommen klargeworden: Jetzt kam es auf jede Minute an! Vielleicht geschah schon in diesem Augenblick etwas Schreckliches mit Robert. Etwas, an das sie nicht einmal zu denken wagte. Und was sollte Arthur davon abhalten, Robert in Ruths Auto oder Harrys Pick-up zu stecken und einfach mit ihm

Weitere Kostenlose Bücher