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Wahnsinns Liebe

Wahnsinns Liebe

Titel: Wahnsinns Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Singer
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ohne sie zu den Mahlers geht. Sie versteht, daß er keinen Brotberuf annehmen kann, wo er doch damals in der Versicherung so gelitten hat. Sie versteht, daß er für Operettenkomponisten anonym die Orchestrierung alberner Stücke schreibt |38| und seine kleine Tochter am liebsten hat, wenn sie schlafend im Bett liegt. Sie versteht, warum er gern mit den Fingern ißt, beim Denken rauchen muß, wütend wird, wenn Kirchenglocken in nächster Nähe schlagen und immer wieder davon redet, die alte Musik müsse überwunden werden, und irgendeiner müsse diesen mühsamen Kraftakt eben auf sich nehmen. Egal, wie unbeliebt er sich damit mache.
    Mathilde holt sich den Rest Kohlstrudel vom Mittag, der noch lauwarm sein wird, aus der Küche, setzt sich wieder an den Tisch über die Partitur des Bruders. Sie gabelt, während sie liest.
    Es fällt ihr schwer, sich zu konzentrieren. Aber diese Stelle da – hat er da nicht geklaut von Arnold? Sie greift sich aus dem Regal das Manuskript von »Verklärte Nacht«. Wie lächerlich dieses Dehmel-Gedicht doch ist. Kopfschüttelnd blättert sie weiter. Ein Mann, der seiner Frau verzeiht, daß sie von einem anderen geschwängert worden ist?
    Doch eine eigne Wärme flimmert
    Von Dir in mich, von mir in Dich,
    Die wird das fremde Kind verklären.
    Du wirst es mir von mir gebären.
    Was hat Arnold nur auf die Idee gebracht, dieses Geseire zu vertonen?
    Da ist die Stelle – ja, Alex hat sich bedient. Ein bißchen jedenfalls. Wahrscheinlich ohne es zu merken.
    Während sie die Noten zurückstellt und die verdächtig ähnliche Stelle anstreicht, geht ihr noch einmal das Gedicht durch den Kopf. Weltfremd dieser Dehmel, absolut weltfremd. Und für den hat sie nächtelang nicht geschlafen. Wie soll ein Mann denn eine Frau noch begehren, die ihn betrogen hat, ein Mann jedenfalls, |39| wie er hierzulande üblich ist? Jedesmal, wenn er ihre Schenkel öffnet, muß er doch an den anderen denken, der sie geöffnet hat. Demütigungen dieser Art lernen nur Frauen auszuhalten, das gehört gewissermaßen zu ihrer Erziehung. Aber Männer? Männer, die sich sogar für alberne Streitereien noch erschießen und das Ganze Ehrensache nennen?

    Es ist Mitternacht, als Arnold zu ihr ins Bett kommt. Sie liegt auf der Seite, von ihm abgewandt. Er riecht nach Zigarrenrauch. Da drückt er schon seinen nackten Körper eng an ihren Rücken. Sie weiß, was das heißt. Und als er ins Nachthemd hinein nach ihren Brüsten greift und seinen Unterleib hart an sie drängt, gibt sie nach, läßt sich zurückfallen, die Augen weiterhin geschlossen. Sie gibt keinen Laut von sich, als er ihr Nachthemd bis über den Bauch hochschiebt und in sie eindringt. Denn sie spürt nichts, was sie erregte. Nur seinen feuchten Körper auf ihrem und sein schwitzendendes Gesicht über ihr und seine kräftige Hand unter ihrem Hintern, mit der er sie in seinem Rhythmus an sich preßt. Es ist wie immer. Doch diesmal versucht sie, die Erinnerung an Payerbach heraufzubeschwören. Auch damals hatte er sich keine Zeit genommen, sie zu erkunden, sich vorzutasten, aber sie erinnert sich, wie sie die Veränderungen an ihrem Körper wahrgenommen hatte, daß ihre Brustwarzen hart wurden, daß sich ihre Haut erhitzte, daß ihr Atem flach und schnell ging, sie nichts mehr hörte von den Nachtgeräuschen draußen, daß ihre Schamlippen sich weich und weit öffneten und daß etwas Krampfartiges sie durchfuhr, bis sie die Kontrolle verlor. Und sie hatte geschrieen, nicht laut und nicht schmerzvoll. »Hab ich dir weh |40| getan?« hatte er geflüstert. Aber sie hatte lächelnd stumm verneint und nicht einmal darüber nachgedacht, wie sie das große Laken in der Waschschüssel sauber bekommen sollte. Auch in den folgenden Nächten hatte sie geschrieen und jene Willenlosigkeit erlebt, nach der sie süchtig wurde. Wann war das alles verschwunden?
    Er stöhnt kurz auf, rutscht von ihr herunter und dreht sich weg.
    Mathilde greift neben sich auf den Nachttisch. Dort müßte doch ein Taschentuch liegen. Und sie schläft ein, die Hand auf dem Schamhügel, als müßte sie ihn trösten.

    Um die vierzig Leute, ausschließlich männlichen Geschlechts, sitzen in dem kalten Licht aus nackten Glühbirnen unter einem nüchternen Gewölbe. Sie kennen sich, und sie kennen sich fast alle von hier. Außenseiter, die sich als Verschworene begreifen. Ihnen gefällt es, daß dieses Etablissement als monströs gilt, als menschenfeindlich, sogar als abwegig. Ein Ort für Geisteskranke,

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