Wahnsinns Liebe
Loos.
»Kann sein. Der kritzelt ohne jedes Konzept stapelweise Zettel und Postkarten voll, wohnt zur Miete im Stundenhotel, wird im Kaffeehaus wie ein Heiliger behandelt, von den Fremden wie ein Denkmal und wird von seinen Mäzenen gefüttert. Und dann noch die Mädels umsonst, bei dem Aussehen …«
»Aber seine Leber will ich so wenig geschenkt wie seinen schwartigen Mantel«, sagt Loos.
»Warte ab, vielleicht sitzt deine Bessie schon drauf«, sagt Schönberg.
Wortlos gehen sie nebeneinander weiter bis zum Ring vor. Loos stakst in großen Schritten drüber, Schönberg pflügt durch den Schneematsch. Am Albertinaplatz wendet sich Loos nach links, Schönberg bleibt stehen. »Ich gehe rechts.« Er zuckt die Schultern. »Du weißt ja – an einem Tag wie dem riskiere ich nichts. Da würde ich mir noch bei einer Klosterschülerin den Tripper holen.«
Loos stutzt. »An einem Tag wie dem? 18. 1. 1906?« Er zögert nur Sekunden. »Klar. Quersumme sechsundzwanzig, zweimal dreizehn. Na gut, dann verkriech dich unter der Bettdecke mit deiner Mathilde.«
|47| Loos weiß, wie ernst es Schönberg ist mit diesem Aberglauben. Er weiß, daß irgendeine häßliche Alte, die auf der Straße in ihn hineinlief, ihm, als er zwanzig war, diesen Wahn ins Gehirn gepflanzt hatte: Die Dreizehn bringe ihm Unglück. Und daß dieser Wahn in Schönbergs Hirn, wo alles gedeiht wie in einem Treibhaus, wuchert und wuchert. Wenn er eine Liste aufstellt und mehr als dreizehn Punkte zusammenkommen, ersetzt er die gefürchtete Zahl durch zwölf a. Immer kommt er beim Komponieren auf Seite dreizehn ins Stocken, und der Versuch, sich zu überlisten, rettet ihn nicht: fängt er auf Seite drei an, kommt er auf der fünfzehnten nicht mehr weiter. Wie ein Besessener rechnet Schönberg Quersummen aus und zählt Buchstaben von Namen und Wörtern zusammen, um jeder verborgenen Dreizehn auf die Spur zu kommen. Trotzdem kann Loos es nicht lassen. »Ein Glück, daß Mathilde sich mit h schreibt«, sagt er. »Sonst wäre der Ehe Mathilde und Arnold die Katastrophe sicher.«
Schönberg starrt ihn an, dreht sich um und hetzt davon, hetzt weiter glühend durch die kalte Nacht, bis er keuchend und am Rand des Zusammenbruchs die Klingel in der Liechtensteinstraße drückt.
Loos kann nicht ahnen, daß sein Freund Arnold in Briefen an die Frau immer mal wieder das h wegläßt. Ohne zu wissen, warum.
Es zieht in der Stadt, als hätte jemand himmelhohe Türen offenstehen lassen. Sie marschiert zu Fuß durch die Kälte, gegen den Wind. So ein Wintertag |48| mache die Frauen erst richtig schön, hat neulich jemand gesagt. War es Berg? Ja, genau, Berg war es gewesen. Berg hat wie alle Männer, die das weibliche Geschlecht anbeten und verklären, von Frauen eben keine Ahnung, deswegen redet er wohl dauernd von den Frauen als solchen. Wahrscheinlich hat er als Kind zuviel Zeit im Laden seines Vaters zwischen all den Devotionalien zugebracht – schmachtende Madonnen, inbrünstig betende Engel, lauter Gestalten, die es nicht gibt. Er betet ja auch seinen Lehrer Schönberg mit einer Unterwürfigkeit an, daß andere Schüler wie Wellesz sich darüber lustig machen. Nur Webern ist noch genauso ergeben. Dieser Berg, der so schwer Zugang zum anderen Geschlecht findet. Da hat er kürzlich erzählt – sie hat es beim Aschenbecherleeren mitgekriegt –, wie gerührt er gewesen sei, als er die überirdisch schönen Damen in der Staatsoper zum ersten Mal gesehen habe. Diese Rosenmünder, diese umschatteten Rätselaugen, diese nachtschwarzen Wimpern.
Mein Gott, die würden sich eben besser schminken als die käuflichen Nymphen, bei denen es gerade fürs billigste Lippenrot reichte, hatte einer aus der Runde ihn auf den Boden geholt. Träumer wie Berg sollten nur von reichen Eltern geboren werden, von sehr reichen Eltern, denkt sie. Damit sie ein Leben lang im Kokon bleiben dürfen. Der Winter mache Frauen schön … Mathilde lacht innerlich.
Ihre Schuhe haben Ränder, ihre Frisur sieht aus wie ein zusammengefallenes Soufflé, auf ihren weißen Wangen zeichnen sich rötliche Flecken ab, ihre Nase leuchtet rot, als sie endlich am Ziel ankommt. Das weiß sie, ohne in den Spiegel zu sehen. Und sie spürt, wie sie |49| nun, als sie die gutgeheizten Räume betritt, zu schwitzen anfängt.
Jetzt steht sie da, wo es sie seit Tagen hindrängt. Davon geträumt hat sie, mehrmals ist sie sogar aufgeschreckt aus diesen Träumen in der Angst, es könnte zu spät sein, ihn zu
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