Wahnsinns Liebe
sagen viele. Sie, die hier lesen, rauchen, reden, kauen, trinken, tatenlos schweigen, finden: ein Ort zum Aufatmen.
Draußen ist es jetzt im Januar, nachmittags um halb fünf, dunkel. Die Tür in der Ecke des zweiflügligen Raums öffnet sich in immer kürzeren Abständen, und jeder, der hereinkommt, geht nach rechts. Rote Kunstlederbänke, schwarze Bugholzstühle, weiße Tische, weiße Wände mit rechteckigen Spiegeln, bilderlos. |41| Keine Muster, keine Stoffe, keine Dekoration. Nichts Nettes hier, nichts Vertrautes. Es riecht auch nicht wie in einem Kaffeehaus. Der Zigarettenrauch steht im weißgekalkten Saal, der nicht erfüllt wird von der üblichen warmen Dampfigkeit, geschwängert mit guten und unguten Gerüchen. Es gibt hier eben keine Portieren, keine Plüschpolster, keine Decken, es gibt weder Kissen noch schwere Gardinen, nichts, was vollgesogen von Küchenfett, Essensgeruch, Tabaksqualm und menschlichen Ausdünstungen das Gemüt beruhigt.
Links vom Eingang ein ebenso nackter weißer Raum ohne Gefälligkeiten. Die beiden, die dort stehen, wirken verloren. Einer schmal, fast knochig im Maßanzug aus teurem Tuch, der andere, bald kahlköpfig und dicklich um die Körpermitte, im abgetragenen braunen Sakko.
Sein Stoß ist leicht, aber gekonnt. Er reibt sich mit dem Taschentuch die Glatze trocken.
»Treffer«, stöhnt der neben ihm und streicht mit einem Finger über den kurzen Schnurrbart. »Du bist einfach besser, weil dir gleichgültig ist, wie du dabei ausschaust.«
Sie lehnen die Queues an die Wand, nehmen ihre Weingläser mit Grünem Veltliner vom Tischrand und trinken, ohne sich anzusehen. Beide starren sie auf den grünen Filz vor sich. Reglos lassen sie die Geräusche von drüben, leises Lachen, Murmeln, Klappern, Scheppern, Stühlerücken, wie einen warmen Regen an sich herunterlaufen, diese Musik der Harmlosigkeit.
»Spürst du eigentlich noch etwas davon? Denkst du noch daran?«
»Ich weiß, heute ist es auf den Tag genau ein Jahr her«, sagt der im Maßanzug. Er trinkt aus. »Daran |42| merkst du, Schönberg, wie schnell Skandale vergessen werden. Eigentlich sollten wir darauf mit Champagner anstoßen.«
Schönberg schweigt, fingert seine Zigaretten aus der Brusttasche, zündet sich eine an und zieht dankbar. »Ich wollte eigentlich wissen, Loos, ob
du
es vergessen kannst«, sagt er heiser.
Der Zahlkellner schleicht vorbei, Loos reicht ihm sein leeres Glas. »Bringen Sie uns eine Flasche Champagner.«
»Deine ehemaligen Schwiegereltern lösen uns aber nicht mehr aus«, sagt Schönberg und sieht dem Kellner hinterdrein, als müßte er ihn noch aufhalten.
Loos verzieht den Mund. »Eins hat Lina geschafft in unsren drei Jahren Ehe: daß ich jetzt genügend Geld mache, um mir das zu leisten, was ich mir auch leiste, wenn ich keins habe. Ich brauche das Beste, sonst kann ich nicht das Beste bringen. Mit Bier und Blutwurst im Bauch schaffe ich nicht eine Architektur wie die hier, sondern eben einen Bier-und-Blutwurst-Stil.«
Der Kellner stellt den Champagnerkübel auf dem kleinen Tisch vor dem Wandspiegel ab und öffnet die Flasche umständlich langsam und fast geräuschlos. Seine Nackenmuskeln sind angespannt, das Hören strengt ihn neuerdings an – das Alter.
»Seit heute vor einem Jahr, seit Lina auf der ›Deutschland‹ nach Amerika abgehauen ist, war der Gerichtsvollzieher nicht ein einziges Mal mehr bei mir. Früher war er Dauergast.«
Schönberg drückt seine Zigarette aus, zündet die nächste an. »Loos, ich habe eigentlich wissen wollen, ob du noch an dieser Sache leidest.«
Loos hebt sein Glas, sieht Schönberg an und sieht |43| den dicken Wulst zwischen den Brauen des Freunds. Er lacht mit fast unbewegtem Gesicht. »Du redest von Lang? Mein Gott, das war doch ein Liebestod von literarischer Dimension. Den wollte der Kerl, weil sie ihn auf einmal nicht mehr wollte. Vielleicht waren die heißen Nächte mit dem Knaben doch nur lauwarm für sie. Lina ist eine Frau, die kann keiner halten.«
Schönbergs Mundwinkel hängen herunter, seine Lider sind halb geschlossen. »Daß sie dich hintergangen hat mit diesem Studenten, hast du gewußt. Und als sich der junge Liebhaber dann erschoß, haben es alle gewußt.«
Loos schenkt sich und dem Freund Champagner nach. Er redet, ohne die Stimme zu heben. »Ich bin ein unbürgerlicher Mensch. Da regt man sich nicht auf, wenn die Gattin mit einem von Romantik infizierten Neunzehnjährigen die Sekrete vermischt.«
Schönberg schnauft. »Man.
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