Wahnsinns Liebe
Man. Und du? Was ist mit dir? Schaust du ab und zu mal in den Spiegel?«
»Bessie sagt, ich sehe blendend aus.« Die linke Braue von Loos zuckt, alles andere bleibt unbewegt.
Als wollte er den letzten Funken in ihr töten, drückt Schönberg seine Zigarette aus. Greift grob sein Queue und macht Anstalten, weiterzuspielen.
Loos legt die langen, gepflegten Finger auf Schönbergs runden Unterarm. »Warte. Warum interessiert dich das? Warum willst du auf einmal so genau wissen, wie man sich als beschissener Ehemann fühlt? Deine Mathilde ist ja wohl die letzte, die fremdgeht. Abgesehen davon, daß sich nicht so leicht einer fände, oder?«
Schönberg wischt die Hand des Freunds vom Ärmel.
»… und was soll das Gerede von dem Spiegel?« fragt Loos. »Ob ich mich im Spiegel ansehe …« Er dreht sich um, schaut flüchtig in den Wandspiegel, bügelt mit |44| harter Hand das leicht gewellte Haar glatter und wendet sich wieder dem Billard zu.
Schönberg ist immer noch über den Tisch gebeugt. Sein breiter Hintern steht im Raum. Er spricht, den Kopf nah über dem Filz, während er peilt.
»Mich macht zur Zeit ein Maler verrückt, der mich porträtieren will. Der hat die wildesten Theorien. Er sagt, man müsse sich bespiegeln bis zum Letzten. Bis zum Äußersten. Erbarmungslos.«
Die schmalen Lippen von Loos ziehen sich in die Breite. »Nennt sich im Volksmund Narzißmus, was?«
Schönberg steht noch immer gebeugt, ein Auge zugekniffen, und richtet das Queue aus. »Nein, um Eitelkeit geht es da nicht. Hier geht es um Anatomie. Dieser Kerl behauptet, nur so lerne ein Mensch sich selber kennen. Und er sagt: alles spiegle sich. Alles.«
Seine Worte kommen wegen der gebückten Haltung undeutlich herüber. Loos steht angespannt da.
»Figuren und Ereignisse, Zwischenfälle und Todesfälle. Die Frage sei nur, sagt dieser Maler, ob du das Spiegelbild als solches erkennen willst. Hast du den Kleinen von unserem Traumehepaar Waerndorfer gesehen?«
»Nein«, sagt Loos und legt den Kopf schief. Er spricht gegen Schönbergs Hintern. »Warum?«
Schönberg stößt die Kugel gegen die Bande, zielgerade rollt sie ins Loch. Er richtet sich auf und dreht sich zu Loos um. Seine Augen sind aufgenähte schwarze Knöpfe. »Der Bub schaut genau aus wie der Klimt. Jeder sieht es, nur der Waerndorfer nicht.«
Loos plissiert seine hohe Stirn. »Seltsam bist du heute. Dabei bist du doch schon seit Wochen nicht mehr ausgepfiffen und beschimpft worden.«
|45| »Und du?« fragt Schönberg, nimmt sein Glas und schüttet den Champagner hinunter wie Wasser.
»Ich fühle mich auch ausgepfiffen, wenn gar keiner pfeift. Ich weiß ja, was die Leute denken. Ich krieg es ja mit, wie sie über mein Café Museum hier lästern.« Er greift in die Hosentasche, zieht eine glatte ovale Silberdose heraus, entnimmt ihr zwei Pastillen, legt sie in den Mund und spült sie mit Champagner hinunter. »Das weiß mein Magen so gut wie ich. Aber es gibt ja genügend Bewunderer, und deren Sympathien …«
Schönberg hat sich neben ihn gestellt, beide glotzen auf den grünen Filz. »Ach was, du erweckst doch selbst bei denen, die dich bewundern, mehr Respekt als Zuneigung.«
»So? Und wie sieht das bei dir aus?« fragt Loos. »Bildest du dir ernsthaft ein, deine Jünger lieben dich, dich als Mensch, nicht als das verkannte Genie?« Er nimmt sein Queue.
Der Stoß mißlingt.
Eine Stunde später stehen beide auf der Operngasse draußen in der Nacht. Es hat zu regnen begonnen. Ein schwerer Schneeregen, nasser als Wasser.
»Wo gehst du hin?« fragt Loos und drückt seinen Hut fester auf den Kopf. »Im Central wird heute irgendeine blutjunge Tänzerin, angeblich aus Spanien, an unserem Tisch erwartet.«
Schönbergs Glatze glänzt in der Straßenbeleuchtung. »… bei deren Anblick Altenbergs trauriger Schnurrbart feucht wird«, grinst er. »Ich habe aber keinen Schnurrbart. Und ich kann auch nicht diese beneidenswerten Briefe schreiben wie er.«
»Was ist daran beneidenswert?«
|46| Beide setzen sich in Gang. Von hinten sehen sie aus wie zwei Hunde extrem unterschiedlicher Rasse. Eine Dogge und ein gutgenährter Dackel.
»Na ja, wie er noch die letzte Praterhure, wenn sie nur jung genug ist, zum göttlichen, hellsichtigen, unendlich verletzbaren Geschöpf verklärt, das er beschützen will. Und schon macht es ihm dieses Gotteskind gratis.«
»Na, es heißt ja, er sei gar nicht imstande, davon was zu haben. Trotzdem: Höre ich da Mißgunst heraus?« fragt
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