Wainwood House - Rachels Geheimnis
Richtung ein, die Bonifacius vor einer Stunde gewählt hatte, um sich ein warmes Plätzchen zu suchen. Der Kater verabscheute die Stadt und blieb stets während der Saison auf Wainwood zurück, doch in Abwesenheit der Familie war Mr Frost nicht bereit, ihn außerhalb des Dienstbotentraktes zu dulden. Während Jane mit dem Brief an eines der großen Fenster trat, erklang im hinteren Teil des Raumes ein vorwurfsvolles Maunzen, als Frost ihn hinaustrug.
Mit dem Gedanken, dass es genauso endete, wie es bei ihrer Ankunft in der Bibliothek angefangen hatte, riss sie den Brief auf und hielt ihn ins Licht. Es war nur ein Bogen Papier. Der Colonel hielt sich weder mit wortreichen Ausschmückungen noch mit Höflichkeitsfloskeln auf.
London, am 11. Mai 1908
Verehrte Miss Swain,
seit gestern Morgen hat sich Ihre Situation grundlegend geändert. Es besteht nicht länger die Notwendigkeit, Sie vor den Schatten des Horus zu verstecken, und unsere Wege werden sich schon bald trennen.
Es erschien mir nie rechtens, die Mitgift meiner Frau nach unserer kurzen Ehe anzutasten. Ich wies den Anwalt meiner Familie an, sie in den Aktien einer Schifffahrtsgesellschaft anzulegen. Offenbar haben die Erträge im Laufe der Jahre ein recht anständiges kleines Vermögen angehäuft. Lord Derrington hat sich bereits vor langer Zeit geweigert, das Geld seiner Familie zurückzunehmen, doch er stimmte heute zu, es für Sie bis zu Ihrem achtzehnten Lebensjahr zu verwalten. Ich gefalle mir in dem Gedanken, dass diese Verwendung ganz im Sinne meiner verstorbenen Frau gewesen wäre.
Betrachten Sie es also nicht als ein Geschenk, sondern als eine logische Notwendigkeit.
Feltham
Als Jane den Brief sinken ließ, stand sie allein in der Bibliothek. Vor den Fenstern breiteten sich die Gärten von Wainwood House aus. Ein junger Bursche, der gestern noch durch den Geheimgang geeilt war, stutzte gerade die Hecken. Mit geübtem Blick kontrollierte er die schnurgeraden Schnittkanten. Der Ladenjunge aus dem Dorf zog eine Karre hinter sich her über die Wege, um am Lieferanteneingang einmal mehr der Köchin die Stirn zu bieten. Goldene Lichtstreben fielen an Jane vorbei in die Bibliothek und erinnerten sie an eine Welt, die so viel verheißungsvoller war als selbst die ägyptischen Papyrusrollen voller Hieroglyphen. Die warmen Sonnenstrahlen in ihrem Gesicht und der Brief in ihren Händen gaben Jane das Gefühl, durch und durch lebendig zu sein, während ihre Zukunft mitten in Wainwood ganz langsam wieder an Gestalt gewann. Natürlich durfte sie nicht erwarten, jemals von der gehobenen Gesellschaft akzeptiert zu werden, doch nach den Erfahrungen der letzten Wochen hielt Jane dieses Wohlwollen für entsetzlich überbewertet. Rachels kleines Vermögen würde ihr dabei helfen, ihren eigenen Weg zu finden, in ein Leben ohne die Schatten.
Danksagung
Wainwood House verdankt sein Fundament einer Vielzahl von Menschen.
Meinem Agenten Peter Lohmann, der jahrelang so geduldig an mich geglaubt hat, und meiner Lektorin Martina Imkeller bei cbj, die mich überhaupt erst auf die Idee gebracht hat, über ein englisches Herrenhaus zu schreiben.
Maji, die seit der Grundsteinlegung dabei war und mir seit vielen Jahren hilft, Sätze zu schmirgeln. Meinem Vater, der Peter Lohmann bei einer Hochzeit in Brasilien kennenlernte und mir den Rücken freihielt, als ich Zeit brauchte, um einen Romananfang zu schreiben.
Und nicht zuletzt meiner Familie und meinen Freunden, die all meine Launen und Zweifel ertragen haben und dabei immer offene Arme und Ohren für mich hatten. Insbesondere danke ich Toni für Fotos bei Minusgraden, Nadja für virtuelle Maßarbeit und Annie für Blumenlieferungen am Morgen.
Liam und Alex sind glücklicherweise nie über meine Fragen zu Etikette verzweifelt. Konrad hat Julian zum Militär geschickt.
© Antonia Weber
Sarah Stoffers, Jahrgang 1982, wuchs als Tochter zweier Journalisten in Hamburg und Schleswig-Holstein auf. Schon früh wusste sie, dass sie das Schreiben zu ihrem Beruf machen wollte. Für ihre Erzählungen erhielt sie bereits erste Auszeichnungen und Veröffentlichungen. Sie schrieb außerdem für Prinz , das Straßenmagazin Hinz&Kunzt und die Hamburger Morgenpost . Mit Wainwood House – Rachels Geheimnis legt Sarah Stoffers ihren ersten Jugendroman vor.
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