Waisen des Alls
Greg jede halbe Stunde die Träger aus und versuchte, die sumpfigsten Stellen zu umgehen.
Als sie die Südhänge der Ausläufer der Kentigernberge erreichten, war es dunkel geworden, und sie hatten die Strahlen der Taschenlampen eng gebündelt. Sie kletterten aus dem Dickicht des Waldes hervor und fanden einen Engpass zwischen zwei Hügeln, der zu dem ausgetrockneten Wasserlauf hochführte. Als der steinige Weg zur Feste des Hauserbergs in Sicht gelangte, war die Nacht hereingebrochen, und die tiefe Schwärze, die in dieser Höhe herrschte, kontrastierte mit den sich veränderlichen Leuchterscheinungen des Waldes. Nach einer weiteren halben Stunde anstrengender Kletterei über loses Geröll und vorbei an stachligen Büschen gelangten sie in die Nähe des Geheimen Tors. Greg wusste, dass sie von IR-Sensoren erfasst wurden, deshalb wunderte er sich nicht, als eine Gestalt aus der Dunkelheit hervortrat und ihnen bedeutete, ihr zu folgen.
Keiner sagte ein Wort, bis sie den Geheimeingang erreicht hatten. Greg wartete, bis alle hindurchgetreten waren, dann ließ er den Blick über die unregelmäßig verteilten Lichtinseln des Waldes schweifen.
Als er in den Vorraum trat, wo bernsteinfarbener Lampenschein ein Schattenmuster auf die reliefverzierten Felswände warf, schlossen sich hinter ihm mit einem dumpfen Geräusch die mächtigen Steinblöcke.
Wieder zurück in den Gängen und der Enge, dachte er. Zurück im kalten Fels, im Gestank des Moders und der ungewaschenen Leiber, mit der Verantwortung, mehrere Hundert
Menschen zu befehligen. Vielleicht hat Chel es ja richtig gemacht.
Er meinte beinahe, die Bürde der Verantwortung auf den Schultern zu spüren.
Dann vernahm er aus dem angrenzenden Raum aufgeregte Stimmen, darunter auch Rory.
»Er ist da? Hey, da sind Sie ja! Sehn Sie mal, wer uns besucht hat!«
Rory gab den Eingang frei, und ein groß gewachsener Mann mit dunklem Bart und verbundenem Arm trat grinsend in den Raum.
»Ah, Gregory, mein allerbester Freund! Dann haben Sie mich also schon für tot gehalten, wie? Also, es braucht mehr als ein Uhrwerkmonster, um Alexandr Washutkin unter die Erde zu bringen!«
Lachend schüttelten sich die beiden Männer die Hand. Greg verspürte überwältigende Erleichterung, doch ein Teil von ihm musterte Washutkin kühl und wunderte sich, wie es ihm gelungen war zu überleben.
18 Kuros
Nach Einbruch der Dunkelheit gelangte die Attentäterin Natalya Petrenko bis zur Rückseite der Botschaftervilla, dann wurde sie von Ezgara-Leibwächtern gestellt. Die Ezgara hätten sie auch schon auf der Straße festnehmen können, doch der Eindruck von Verwundbarkeit rechtfertigte strenge Sicherheitsmaßen und kam auch gut beim einheimischen Publikum an. In der Villa wurde Botschafter Kuros von seinem AI-Geisterbruder General Gratach unbemerkt auf dem Laufenden gehalten, während er sich mit mehreren hochrangigen Gästen von Iseri unterhielt. Hacclon Adzarv war ein Bruder des Kommandanten der Sicherheitskräfte, die den Himmelspalast bewachten, und deshalb war er wohlhabend und verfügte über gute Verbindungen, und viele der Familienangehörigen, die ihn begleiteten, nahmen eine ähnlich hohe soziale Stellung ein. Kuros erwähnte das Drama, das sich draußen abspielte, erst später am Abend, als die Gäste an Bord ihres opulenten Shuttles gingen, um die Rückreise zur Läuterer anzutreten. Als sie von ihren eigenen Geistesgeschwistern über den Vorfall informiert wurden, baten ihn Hacclon und dessen Frau um nähere Erläuterungen. Kuros versicherte ihnen, von der einzeln agierenden Terroristin sei keinerlei Gefahr ausgegangen, auch wenn sie mit fanatischer Entschlossenheit vorgegangen sei.
»Dennoch haben Sie sich dafür entschieden, an vorderster Front auszuharren«, sagte Hacclon. »Um sich mit den undankbaren Eingeborenen auseinanderzusetzen.«
Kuros lächelte stoisch. »Das bringen meine Berufung und meine Stellung eben mit sich, edler Hacclon. Loyalität verpflichtet, die Pflicht befiehlt.«
»Sie sind uns allen ein Vor, Botschafter«, erwiderte Hacclon. »Seien Sie versichert, dass ich bei meiner Rückkehr nur in den höchsten Tönen von Ihnen sprechen werde.«
Kuros bedankte sich mit einer angemessen tiefen Verneigung, dann beobachtete er von der Eingangstreppe aus, wie die Gäste an Bord gingen, das Shuttle abhob und in den Nachthimmel emporstieg.
Nicht schlecht gelaufen, dachte er und ging nach der Gefangenen sehen.
Im Nebengebäude, in dem die Sicherheitskräfte
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