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Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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dies und das zu tun, gehorchen sie einfach!«
    »Aye, aber als Sie noch die Grabungsstätte an der Schulter des Riesen geleitet haben, haben Sie da nicht auch ständig Anweisungen erteilt?«

    Greg nickte widerwillig. »Das war etwas anderes - wir waren Kollegen, und ich habe nicht den Befehl geführt, sondern war eher der Erste unter Gleichen.« Er seufzte. »Ich wünschte, Onkel Theo wäre hier und es gäbe ein Durchkommen nach Niwjesta.«
    »Ach, Sie machen das schon«, meinte Rory. »Ich brauch Ihnen nicht zu sagen, wie man mit den Lauschern und den Flüchtlingen umgeht, und der Major wär vielleicht nicht so geduldig wie Sie …«
    Schatten umflackerten die Kerzen und ließen das Laubrelief überdeutlich hervortreten. Der Gang mündete in eine niedrige Kammer mit einem dreieckigen Tisch und drei großen Säulen, die stilisierten Bäumen glichen, deren Geäst sich über die Decke breitete. Die Laternen schienen an Ästen und Ranken aufgehängt zu sein. Vier Lauscher saßen am Tisch, hagere Gestalten in oberschenkellangen Gewändern, deren schmale, leicht deformierte Gesichtszüge von weichen Kapuzen beschattet waren. Der eine war Weynl, erkennbar an seiner silbergrauen, flaumigen Gesichtsbehaarung. Als Greg und Rory Platz nahmen, trat noch ein stämmiger, blonder Mann in roter Wetterjacke ein und nickte wortlos. Das war Lars Hansen, der Sprecher der Menschenflüchtlinge, der offenbar aus eigenem Antrieb erschienen war.
    »Lars, ich dachte, die Neuankömmlinge würden einen eigenen Vertreter schicken.«
    »Ich habe mit ihnen gesprochen, Greg, ich bin ihr Sprecher …«
    »Nein, das ist er nicht!«, ertönte eine Frauenstimme.
    Eine hochgewachsene Frau in schwerer Arbeitsjacke betrat die Kammer. Sie war Mitte dreißig, athletisch gebaut, und ihr Gesichtsausdruck war düster und zornig.

    »Ich habe gerade erklärt …«, setzte Hansen an, doch sie hob die Hand und wandte sich an Greg.
    »Mr. Cameron, ich bin Walerija Sidorow. Ich möchte mich für die Störung entschuldigen, aber ich bestehe darauf, dass unsere Stimme Gehör findet! Wir alle haben unter den Angriffen und großer Not gelitten, deshalb haben wir unter Ihrem Dach Zuflucht gesucht …«
    »Und ich habe ihr erklärt, Greg, dass unsere Vorräte begrenzt sind«, sagte Hansen.
    »Bitte, Mr. Cameron«, fuhr Sidorow fort. »Wir haben Kinder, alte Leute und Verletzte dabei - bitte schicken Sie uns nicht fort.«
    »Niemand«, sagte Greg mit einem scharfen Blick auf Hansen, »niemand wird fortgeschickt und seinem Schicksal überlassen. Allerdings sollten Sie sich bewusst sein, dass wir bald von hier weggehen werden, da Tayowal nicht mehr sicher ist.«
    Hansen und Sidorow wirkten ebenso verblüfft wie Weynl und die anderen Lauscher, während Rory lächelte.
    »Was ist der Grund, Freund Gregory?«, fragte Weynl.
    »Sie wissen, weshalb neue Flüchtlinge aufgetaucht sind«, sagte er. »Die meisten größeren Lager und Siedlungen im Norden, Süden und Osten der Kentigernberge wurden gestern von den Brolturanern angegriffen und zerstört. Aye, hier gab es keine Angriffe, aber das heißt nicht, dass Tayowal sicher wäre. Ganz im Gegenteil, das Tal lässt sich gegen die Waffen der Brolts kaum verteidigen.«
    »Was sollen wir tun?«, fragte Weynl. »Wie sollen wir so viele Personen schützen?«
    »Eigentlich hatte ich gehofft, dass Sie darauf eine Antwort wüssten, Lauscher. Ich weiß, dass Chels Techwerker auf dem Gebiet westlich der Tirnanogebene und südlich der Ymirberge Erkundungen vorgenommen haben - gibt
es dort einen geeigneten Unterschlupf, der in drei bis vier Tagesmärschen zu erreichen wäre?«
    Weynl schüttelte seinen ausgezehrten Kopf. »In der erforderlichen Größe gibt es da nichts. Es tut mir leid. In dem Gebirge, das Sie Ymir nennen, gibt es ein paar große Höhlenheiligtümer, aber dorthin würde man zu Fuß etwa zwanzig Tage brauchen …«
    Der Lauscher verstummte, als ein weiterer Uvovo eintrat. Greg brauchte einen Moment, bis er Chel erkannte. Der ehemalige Gelehrte, inzwischen Seher und immer noch sein Freund, wirkte trotz der Anspannung und Erschöpfung, die sich in seinem Gesicht abzeichneten, vollkommen mit sich im Reinen. Seine Augen strahlten, seine Miene war so vergnügt wie vor der Krise.
    »Willkommen, Seher Cheluvahar«, sagte Weynl. »Du solltest wissen, dass wir in einer misslichen Lage sind.«
    »Ja, Lauscher. Ich habe mit einigen Neuankömmlingen gesprochen und mir ihre Erlebnisse schildern lassen, deshalb habe ich mich verspätet.

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