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Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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angewiesen, Kapuzengewänder aus einem dünnen, blassgelben Material anzulegen, das kaum wärmte. Allerdings taugte es dazu, ihr und den anderen in Erinnerung zu rufen, dass sie seit fast vier Wochen nicht mehr gebadet hatten. Sie versuchte sich einzureden, diese Unannehmlichkeit sei doch nur eine Kleinigkeit im Vergleich zu der Bedrohung, die von diesen kretinhaften, Gebete plappernden Wächtern mit ihren Waffen ausging, doch das gelang ihr nicht immer.
    Von den Toren der Hauptwerkstatt an hatte der abschüssige Tunnel bislang zwei 180-Grad-Kehren beschrieben, doch aufgrund seiner Breite hatten die dreizehn Meter langen Geschosse genügend Platz. Als die Prozession sich der dritten Kehre näherte, bog eine Menschenfrau um die Ecke und kam ihnen unbekümmert entgegengeschlendert. Sie trug einen dunkelblauen Einteiler mit Werkzeuggürtel, eine Art Overall, wie er für einen Techniker angemessen war, rote Handschuhe und Stiefel mit Farbklecksen drauf. Ihr schwarzes Haar war kurz geschnitten und von hellen Strähnen durchsetzt, ihr Gesicht war klein, sauber und einnehmend schön. Ihre dunklen, klaren Augen schienen vor Ausgelassenheit beinahe zu zwinkern; die kalte Grausamkeit, die darin verborgen war, zeigte sich erst bei häufigerem Umgang.
    Julia wappnete sich. Wenn die Augen Fenster der Seele sind, dann sind Corazon Talaveras Fensterscheiben geborsten.

    Talavera brachte die Raketenprozession mit erhobener Hand zum Stehen, dann unterhielt sie sich auf Kelasti, einer der Hauptsprachen der Yamanon-Flüchtlinge, mit dem befehlshabenden Wachmann. In den vergangenen vier Wochen hatte Julia sich zwar gewisse Grundkenntnisse der Sprache angeeignet, verstand aber nur ein paar Worte der Unterhaltung. Talavera blickte sich zu den Getunten um, musterte sie nacheinander und lächelte.
    »Wir müssen bei unserem kleinen Umzug eine Veränderung vornehmen - Anordnung von Hurnegur. Er möchte, dass ihr einen größeren Abstand zu den heiligen Raketen einhaltet …« Sie bedeutete den Bedienern der Antigravlader weiterzufahren und wartete, bis eine 15-Meter-Lücke entstanden war, dann forderte sie die anderen auf, loszumarschieren.
    »Los, meine Freunde, vorwärts zum Sieg!« Lachend schloss sie zu Julia auf. »Nichts als lange Gesichter. Dabei ist das heute doch ein Freudentag, Leute - ihr solltet eure erstaunliche Errungenschaft feiern. Hurnegur und Jeshkra haben eine besondere Überraschung vorbereitet, eine kleine Zeremonie, um den Gläubigen Gelegenheit zu geben, ihren Gefühlen für diese Babys und der Vorfreude auf die bevorstehende große Schlacht Ausdruck zu verleihen.«
    Sie eilte weiter und erreichte die Raketen, als sie um die nächste Ecke bogen.
    »Was hat das Miststück jetzt wohl wieder vor?«, flüsterte Konstantin. »Ob’s das wohl gewesen ist?«
    »Immer mit der Ruhe«, entgegnete Julia, obwohl sie das Gleiche dachte wie er und sich fragte, wohin dieser bizarre Umzug wohl führen mochte. Als sie um die Ecke bogen, erinnerte Julia sich an ihre erste Begegnung mit Corazon Talavera, als sie kurz nach dem Start der Qol-Valish , welche die Getunten zur Erde bringen sollte, mit ihrer Söldnerbande
in die schummrig erhellte Aussichtslounge marschiert war.
    Wie ihre Schläger hatte Talavera einen stumpfgrünen Kampfanzug getragen, doch ihr Lächeln war breit und gierig gewesen.
    »Menschen!«, hatte sie laut gerufen. »Ich will die Menschen!«
    Verängstigte Blicke wandten sich Julia und den anderen Getunten zu, die zusammen mit ihrer Eskorte, zwei Offizieren von der Velazquez , in einer Nische saßen. Die beiden Männer wurden erschossen, als sie die Waffen zogen. Talavera lächelte daraufhin, winkte Julia und deren Begleiter näher und sagte: »Mir nach, und keine Fisimatenten, wenn’s recht ist.«
    Mit vorgehaltener Waffe geleitete man sie zum Ausgang. Als sie auf dem Gang standen, blieb Talavera im Eingang stehen und stützte die Hände gegen den Türrahmen, während ihre Untergebenen mit den Waffen in die Lounge hineinzielten. Dann sagte sie etwas in einer der weit verbreiteten Intersprachen und deutete auf einige glänzende Pakete, die in der Nähe der Tür auf einem Haufen lagen. Die Passagiere, Angehörige unterschiedlichster Zivilisationen, stöhnten und ächzten. Dann trat Corazon auf den Gang, und die Tür schloss und verriegelte sich.
    In der Lounge setzte das Kämpfen ein.
    Julia und deren Begleiter wurden in den Frachtraum der Qol-Varish gebracht. Sie kamen an Toten und Blutspritzern vorbei und hörten

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