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Waisen des Alls

Waisen des Alls

Titel: Waisen des Alls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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noch einige Sekunden in der Luft. Die Drohnen kamen näher, als witterten sie das Ende. Der Frachter, der die aerodynamischen Eigenschaften eines Ziegelsteins hatte, schlingerte auf das dunkle, aufgewühlte Gewässer zu, und aufgrund einer plötzlichen Eingebung klinkte der Ritter die Bombe aus, bevor er in den See stürzte.
    Er schaltete den Plasmaantrieb aus und steuerte mit dem Manövriertriebwerk in die dunkle Tiefe. Da die Sensoren weitgehend ausgefallen waren, musste er sich auf die Anzeigen der Bombe verlassen, die in eine Rettungskapsel eingebaut waren - die Wachdrohnen näherten sich bereits der Absturzstelle. Währenddessen gelangte der Seeboden in Sicht, eine Landschaft aus geborstenen Steinen, Schründen und spitz aufragenden meterlangen Felsen, als handele es sich um ein verkrautetes Schlachtfeld, das seit Jahrhunderten von Wasser bedeckt war. Er wählte eine nicht sehr tiefe Schlucht aus und setzte den Frachter am Boden ab, wobei sandiger Morast aufgewirbelt wurde. Dann zündete er die Bombe.
    Nach kurzer Verzögerung erreichte ihn der Knall, dicht gefolgt von der Druckwelle. Der Lärm und die Erschütterungen trafen gleichzeitig ein, dann prallten Steine auf seine Hülle. Einen Moment lang schwächte die Kakophonie sich ab … dann krachte etwas Schweres auf den Frachter
und gleich darauf noch einmal und noch einmal. Die Hülle barst, und der Alarm begann zu schrillen, als Datenverbindungen unterbrochen wurden. Der Legionsritter unterdrückte seine aufsteigende Panik und aktivierte die Manövrierdüsen. Nichts geschah. Er versuchte es mit dem Plasmaantrieb, doch die Steuerung war tot. Die Innensensoren meldeten Wassereinbrüche in mehreren Sektoren und das drohende Versagen der oberen Rumpfabstützung. Wenn sie nachgab, würde der Frachtraum geflutet werden und die Fracht gegen den Schutzrahmen prallen.
    Die externen Sensoren waren vollständig ausgefallen, doch vom Expressumbau her verfügte er noch über einige Bargalil-Arbeitsdrohnen. Die kleinste schickte er durch die zweite Luftschleuse nach draußen, wo sie ein paar Sekunden lang die Außenansicht übermittelte, bis seine Systeme dem Druck und dem einströmenden Wasser erlagen.
    Ein schwerer Felsbrocken war in die Schlucht gestürzt und in mehrere Stücke zerbrochen, die den Frachter unter sich begraben hatten. Jetzt war er gefangen, lebendig eingesperrt, aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse verschüttet. Zorn und Enttäuschung überwältigten ihn. Die Hülle gab nach, die einzelnen Segmente wurden geflutet; sollte nach all den langen Jahren des Überlebens, des Planens, dem Neuaufbau und seiner brillanten List hier alles enden?

13 Julia
    Die Prozession bewegte sich gemessen durch die roh behauenen Tunnel. Stahlträger säumten die Wände, und kleine Spotscheinwerfer warfen ein grellweißes Licht auf die beiden großen, dunkelblauen Raketen, die auf Antigravladern dahinglitten. Schwer bewaffnete henkayanische Kämpfer hatten Julia und ihre Gefährten in die Mitte genommen. Irenja ging zu ihrer Linken, Konstantin zu ihrer Rechten. Beide wirkten abgespannt und müde, gleichzeitig aber auch wachsam. Thorold und Arkadij gingen ein, zwei Schritte hinter ihr, und als sie sich zum letzten Mal umgesehen hatte, hatten sie ebenso niedergedrückt gewirkt wie Irenja.
    Kein Wunder, dachte sie. Schließlich wissen wir nicht, ob sich unsere Gefangenschaft fortsetzen wird, oder ob wir sterben müssen.
    Ihre Bewacher waren dieselben, die sie auch schon in unterirdischen Fertigungsstätten beaufsichtigt hatten, in denen sie die vergangenen drei Wochen über eingesperrt gewesen waren. Julia hatte sich nach und nach an die boshaften Bemerkungen und die hasserfüllten Blicke gewöhnt, mit denen diese frommen Krieger ihre minderwertigen Menschengefangenen bedachten. Im Kortexnetz ihres Geistes hatte sie hierarchisch strukturierte soziale Modelle laufen lassen und versucht, vorherzusehen, wie ihre Bewacher, jetzt, da die heiligen Waffen einsatzbereit waren, mit ihnen verfahren würden. Jedes Mal lief es auf die religiöse Ebene, auf die Intensität der memetischen Internalisierung
hinaus. Einerseits vermochten das Wissen und die Fähigkeiten der getunten Menschen ihren blasphemischen Ursprung nicht aufzuwiegen, andererseits hatte sich ihr Wert jetzt vielleicht erschöpft, so dass man die Gegenstände des Abscheus nun eliminieren konnte.
    Sie fröstelte. Im Tunnel war es kühl, die Luft schmeckte pudrig auf der Zunge. Vor Verlassen der Werkstätten hatte man sie

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