Wald der Masken
und hauchten dem Stein Leben ein. So entstanden die Marmornen. Ihre Haut war so unverwundbar wie die der Kahlfresser. Sie war gemasert wie kostbarster Marmor, daher ihr Name. Sie schafften es unter großen Verlusten, mit der Plage fertig zu werden und die Ameisenhaften bis auf wenig Überlebende zu vernichten. Diese wenigen flohen, doch die Marmornen blieben und wurden nun selbst zur Plage, weil sie keine Herren mehr kannten und zunächst über die Gehöfte der Hilfsvölker, dann über die Burgen der Aegyr selbst herfielen. Manche Festung wurde eingerissen. Über die Zwingmauern ergoß sich die Flut der Marmornen bis in die befestigsten Türme, in denen sie wüteten.«
»Das ist schrecklich.« Ilfa schüttelte sich. »Aber die Aegyr fanden ein Mittel gegen ihre eigenen Geschöpfe?«
Zomfar nickte.
»Sie sammelten abermals ihre fähigsten Magier und bannten die Marmornen mit einem Fluch. Es ist überliefert, daß die Steinernen, die nicht in tausend Teile zersplitterten, sich heulend davonschlichen, während die Nebel über dem Land unter Blitzen aufrissen. Donner rollte über die Berge und Ebenen, als sich die Flucht vollzog. Niemals wieder sollte ein Marmorner sich in die Lebensbereiche der Aegyr vorwagen, oder der Zorn des Himmelsfeuers sollte in sie hineinfahren und sie zerstückeln. Sie mußten sich in jenes Gebiet zurückziehen, in dem sie aus Stein erschaffen wurden, und sollten dort leben, bis der letzte von ihnen starb.«
»Der Marmorbruch«, sagte Mythor beeindruckt. »Hierher.«
Zomfar nickte heftig.
»Und sie sind tot. Ihre Flucht muß tausend Menschenalter zurückliegen. Sie konnten sich nicht vermehren, denn sie besaßen kein Geschlecht. Sie sind tot. Cobor lügt, wenn er etwas anderes behauptet.«
Sogleich drehte der Baummann sich wieder nach seinem Anführer um. Er sah Cobors Blick auf sich gerichtet und wollte sich davonschleichen.
Mythor hielt ihn zurück.
»Und das alles sind Legenden, oder? Niemand, der heute lebt, hat je einen Marmornen gesehen?«
»Nur Cobor sagt das. Aber die Geschichte der Marmornen wurde mir schon von meinen Urgroßeltern erzählt.« Zomfar riß sich los. Er richtete sich auf, drehte sich um und zischte nur noch: »Ich weiß, daß es keine Marmornen mehr gibt, aber ich habe trotzdem Angst, weil ich den Zauber spüre, der noch über dem Marmorbruch liegt.«
Er lief zurück zu seinen Artgenossen.
Mythor blickte Ilfa in die Augen und las ihre Befürchtungen darin.
»Sagen, Legenden, heidnische Ängste«, sagte er. »Cobor sucht keine Rache, sondern die Macht über alle anderen. Er sucht sie zu gewinnen, indem er ihnen Angst macht.«
Ilfa schüttelte den Kopf.
»Zomfar hatte mir nicht alles gesagt, was er jetzt offenbarte, Mythor. Ich glaubte, daß Cobor den Baummenschen eine Geschichte erzählte, daß er die Legende um die Marmornen selbst erfand. Daß er aber dabei jemand anderen meinte, der ihm die Stirn geteilt hätte, und so Anhänger für seinen Rachefeldzug gewinnen sollte. Ein Gegner aus Fleisch und Blut vielleicht.«
»Und jetzt?«
»Du hast es gehört, Mythor. Schon die Urahnen der Baumbewohner wußten um die Legende.«
»Also gibt es die Marmornen?«
Sie stand auf und zog ihr Dreiviertelschwert, ließ es in ihrer Hand tanzen und steckte es spielerisch in die Scheide zurück.
»Es gab sie, Mythor. Und sollte Cobor kein übles Spiel mit uns treiben…«
Sie tippte mit einem Finger gegen den Köcher mit den Pfeilen, die sie sich aus den toten Echsen zurückgeholt hatte.
*
Am Abend, als das Lager für die Nacht aufgeschlagen wurde, hatte es weder Begegnungen mit Raubtieren, noch mit einem Marmornen gegeben.
Mythor bereitete sich auf die erste Wache vor, zum einen, weil er Cobor nicht traute, zum anderen, weil er den Schlaf mit seinen bösen Träumen von glühenden Masken fürchtete. Ilfa sollte die erste Hälfte der Nacht über schlafen und ihn später ablösen. Insgeheim hoffte er, daß sie erst am Morgen aufwachte.
Das kleine Feuer brannte in einer Waldlichtung. Mythor hatte von den neun Baummenschen die umgebenden Bäume so ansägen lassen, daß sie mit daran befestigten Stricken im Fall eines Angriffs blitzschnell umgelegt werden konnten. Die biegsamen Äste waren ebenfalls mit Sehnen zurückgespannt, und in ihren Gabelungen lagen spitze Vulkansteine. Im Verteidigungsfall würden sie mit einem Messerschnitt gegen Angreifer verschleudert werden können. Bei den Arbeiten daran hatte Mythor mit Zufriedenheit festgestellt, daß die Baummenschen
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