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Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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Wahrscheinlichkeit auch nicht. Schließlich kam es zu den Maiskolben, suchte sich den heraus, der ihm am besten gefiel und huschte munter mit den gleichen, trigonometrischen Bewegungen auf den obersten Scheit meines Holzstoßes vor meinem Fenster. Von dort aus sah es mir gerade ins Gesicht und blieb stundenlang hier sitzen, während es sich ab und zu mit einem neuen Kolben verproviantierte. Anfangs knabberte es gierig daran und warf die Frucht, wenn sie halb angefressen war, fort. Schließlich wurde es leckerer, spielte mit seiner Nahrung, fraß nur noch das Innere der Körner und ließ dabei den Kolben, den es zuvor über den Holzscheit gelegt hatte und mit einer Pfote lässig balanzierte, zur Erde fallen. Mit dem komischen Ausdruck der Unentschlossenheit blickte es auf ihn hinunter. Es schien zu glauben, der Kolben sei lebendig. Nun war es im Zweifel: sollte es den alten wieder heraufholen, einen neuen stehlen oder entfliehen? In einem Augenblick dachte es an den Mais, im nächsten Augenblick lauschte es, ob der Wind ihm auch irgend etwas Verdächtiges zutrüge. So vergeudete der unbescheidene kleine Geselle amVormittag manchen Kolben. Schließlich packte er einen der längsten und dicksten, der ihn beträchtlich an Größe übertraf, und trug ihn, wie ein Tiger den indischen Büffelochsen, in die Wälder hinein, wobei er die gleichen Zickzacklinien beschrieb, häufig Pausen machte, den mitgeschleiften Kolben ebenso häufig fallen ließ – und zwar in diagonaler Richtung – als sei er zu schwer für ihn und doch zu gut, um ihn im Stich zu lassen. Es war ein hervorragend freches, launiges, kleines Geschöpf! Schließlich zog es mit dem Kolben nach seinem Heim ab, trug ihn vielleicht auf die Spitze eines 150–200 Meter entfernten Tannenbaums! Ich fand später nach verschiedenen Richtungen hin zerstreute Kolben im Wald.
     
    Schließlich kamen auch die Dohlen herbei, deren krächzende Schreie schon lange vorher ertönten. Selbst wenn sie noch zweihundert Meter entfernt waren, wurden sie äußerst vorsichtig, flogen in heimlicher, schleichender Weise von Baum zu Baum, näher und immer näher, während sie die Maiskörner aufpickten, welche die Eichhörnchen hatten fallen lassen. Dann setzten sie sich auf den Zweig einer Pechtanne und versuchten in aller Eile ein großes Korn zu verschlucken, das für ihre Kehle zu groß war und sie fast erstickte. Nach vieler Mühe wurde es wieder ausgespieen. Nun versuchten sie, es durch längeres Sacken mit den Schnäbeln zu spalten... Das waren wirklich Diebe und ich hatte keinen großen Respekt vor ihnen. Die Eichhörnchen waren zwar anfangs scheu, doch dann machten sie sich ans Werk, als hätten sie ein gutes Recht dazu.
     
    Inzwischen kamen auch die Schwarzmeisen in Scharen herbei, pickten die den Eichhörnchen entfallenen Maiskrümel auf, flogen auf den nächsten Zweig, legten sie unter ihre Krallen und hämmerten mit ihren kleinen Schnäbeln darauf los – als ob ein Insekt in der Rinde säße – bis sie für ihren schmalen Schlund genügend verkleinert waren. Mit leisem lispelnden Zwitschern, das wie das Klingen von Eiszapfen im Grase klang, kam eine kleine Schar dieser Meisen täglich herbei, um ihr Mittagessen aus meinem Holzstoß herauszupicken oder die Krümchen vor meiner Tür aufzulesen. Bald erschallte ein Helles "dät-dät-dät", seltener ertönte aus den Wäldern ein dünnes,sommerliches "Phie-bie-Phiebie". Sie waren schließlich so zutraulich, daß sich einmal eine von ihnen auf das Holz setzte, welches ich in meinem Arm hielt, und furchtlos an den Scheiten pickte. Auch ein Spatz setzte sich einmal für einen kurzen Augenblick auf meine Schulter, als ich in einem Dorfgarten mit Sacken beschäftigt war, und ich fühlte, daß ich durch dieses Ereignis mehr ausgezeichnet wurde als durch irgend welche "Epaulette", die man mir hätte verleihen können. Die Eichhörnchen wurden mit der Zeit ebenfalls ganz zutraulich und liefen über meinen Schuh, wenn das der nächste Weg war.
     
    Als der Erdboden noch nicht ganz mit Schnee bedeckt war, und auch später gegen Ende des Winters, als der Schnee bereits am Südabhang meines Hügels und um den Holzstoß herum geschmolzen war, kamen am Morgen und am Abend Rebhühner aus den Wäldern, um hier bei mir zu speisen. Wohin man auch im Walde geht, überall flattert das Rebhuhn mit schwirrendem Flügelschlag empor, schüttelt von den dürren Blättern und Zweigen hoch oben den Schnee herab, der im Sonnenschein wie ein seiner

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