Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
daß es meilenweit über die widerhallende Erde tönt und die leisen Sänge anderer Vögel übertönt – man stelle sich das einmal vor! Nationen könnten auf diese Weise alarmiert werden! Wer möchte nicht gern früh aufstehen, früher und früher an jedem folgenden Tag seines Lebens, bis er unaussprechlich gesund, reich und weise würde? Der Gesang dieses fremden Vogels ist durch die Dichter aller Völker zugleich mit den Liedern ihrer heimischen Sänger verherrlicht worden. Jedes Klima sagt dem tapferen Kreyant zu. Er ist einheimischer als die Einheimischen. Seine Lungen sind gesund, seine Gesundheit ist stets gut, seine Stimmung niemals trübe. Selbst der Seemann auf dem Atlantischen oder dem Stillen Ozean wird durch seine Stimme erweckt. Doch nie scheuchte sein schriller Schrei den Schlummer von meinen Augen. Ich hielt weder Hund noch Katze,weder Kuh noch Schwein noch Hühner. Man hätte mir sagen können: Es fehlt bei Dir an heimischen Klängen! Weder ein Butterfaß noch ein Spinnrad, weder das Brodeln in Töpfen, das Singen der Teemaschinen, noch Kindergeschrei trug dazu bei trauliche Stimmung zu schaffen. Ein altmodischer Mensch wäre wahnsinnig geworden oder zuvor aus Langweile gestorben. Auch Ratten in den Wänden gibt es nicht, denn sie wurden ausgehungert, oder überhaupt nie angelockt – nichts als Eichhörnchen auf dem Dach und unter dem Fußboden, ein Tagschläfer auf dem Hausgiebel, eine Dohle, die unter dem Fenster schreit, ein Hase oder ein Murmeltier unter dem Hause, eine Knarr- oder Katzeneule dahinter, eine Schar Wildgänse oder ein lachender Taucher auf dem Teich und in der Nacht ein bellender Fuchs. Selbst Lerche und Goldamsel, diese zutraulichen Plantagenvögel, kommen nicht auf meine Waldlichtung. Kein Hahn, der kräht, keine Henne, die gackert im Hof! Kein Hof! Unumzäunt erstreckt die Natur sich bis an die Türschwelle. Ein junger Wald wächst vor dem Fenster empor, wilder Sumach und Brombeergestrüpp schicken rankende Wurzeln zum Keller hinab. Trotzig reiben und knarren Pechtannen an den Schindeln, um sich Platz zu erobern; ihre Wurzeln strecken sie tief unter das Haus. Nicht Dachfenster oder Wetterladen, die ein Sturm losriß, dienen als Feuerung, sondern die Zweige der Tanne, die hinter dem Hause abbrachen, oder entwurzelte Bäume. Durch den tiefen Schnee führt kein Pfad zum Vorgartentor – es gibt kein Tor – es gibt keinen Vorgarten – es gibt keinen Pfad zur zivilisierten Welt!
Einsamkeit
Das ist ein herrlicher Abend! Der ganze Körper ist nur ein Sinn und saugt Entzücken mit jeder Pore ein. Ich wandle mit gar seltsamer Freiheit in der Natur umher; ich bin ein Teil von ihr. Wenn ich am steinigen Teichufer in Hemdärmeln entlanggehe, obwohl es bewölkt und windig ist, und nichts, was meine Aufmerksamkeit besonders erregt, bemerke, dann fühle ich mich ungewöhnlich stark allen Elementen verwandt. Die Ochsenfrösche trompeten, um die Nacht anzukünden und der Sang des Tagschläfers wird vom Wellengekräusel über das Wasser getragen. Es besteht ein solcher Einklang zwischen mir und jedem zitternden Erlen- oder Pappelblatt, daß ich kaum zu atmen vermag. Und doch ist mein tiefer Friede, wie der des Sees, nur gekräuselt, nicht gestört. Diese kleinen Wellen, die der Abendwind erweckt, sind so weit vom Sturm entfernt wie die glatte, spiegelnde Oberfläche des Wassers. Jetzt ist es dunkel geworden, doch noch weht rauschend der Wind durch den Wald, noch plätschern die Wellen und ein Geschöpf singt das andere zur Ruh. Die Ruhe ist nie vollkommen. Die wilden Tiere rasten nicht, sondern suchen ihre Beute. Fuchs und Skunk und Kaninchen durchstreifen jetzt furchtlos Felder und Wälder. Sie sind die Nachtwächter der Natur – Bindeglieder, welche die Tage regen Lebens miteinander verbinden.
Nach Hause zurückgekehrt bemerke ich, daß Besucher dagewesen sind und ihre Karten zurückgelassen haben: eine Handvoll Blumen, einen Kranz aus Immergrün oder einen Namen, der mit Bleistift auf ein gelbes Walnußblatt oder auf einen Span geschrieben wurde. Leute, die selten in den Wald kommen, nehmen gern ein Stückchen Wald in die Hände, um beim Wandern damit zu spielen;nachher werfen sie es irgendwo fort – absichtlich oder zufällig. Irgend jemand hat eine Weidenrute abgeschält, einen Ring daraus geformt und ihn auf meinen Tisch gelegt. Entweder an den umgebogenen Zweigen und Grashalmen oder an den Fußspuren konnte ich immer erkennen, ob Besucher während meiner Abwesenheit
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