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Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry David Thoreau
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dagewesen waren. Ja, auch über ihr Geschlecht, ihr Alter und ihren Charakter wurde ich meistens aufgeklärt durch irgend eine unbedeutende zurückgelassene Spur: durch eine zur Erde gefallene Blume, durch ein Büschel Gras, das man ausgerissen und wieder fortgeworfen hatte oder durch den noch in der Luft schwebenden Geruch einer Zigarre oder Pfeife. Eine halbe Meile weit, bis zur Eisenbahn, fand ich solche Spuren. Daß überhaupt ein Wanderer auf der ungefähr dreihundert Schritte entfernten Landstraße vorbeizog, erfuhr ich häufig nur durch den Duft seiner Pfeife.
     
    Meistens ist genügend Raum um uns herum. Unser Horizont stößt niemals dicht an unsere Ellbogen. Das Waldesdickicht ist nicht unmittelbar vor unserer Tür, auch nicht der See, sondern ein kleines Stück Natur ist für jeden von uns freigelegt, uns vertraut und angepaßt, auf irgend eine Weise von uns erobert und umzäunt, von der Natur für uns zurückgefordert. Wozu habe ich dieses weite, mehrere Quadratmeilen große Waldgebiet zu meinem Privatgebrauch von meinen Mitmenschen erhalten? Mein nächster Nachbar wohnt eine Meile weit entfernt; im Umkreis von einer halben Meile ist von meinem Wohnort aus kein anderes Haus zu sehen, nur dann vielleicht, wenn man auf einen Gipfel der Hügel steigt. Mein Horizont ist von Wäldern umrahmt und gehört mir ganz allein. Auf der einen Seite habe ich einen Fernblick auf die Bahn, dort, wo sie den Teich berührt, auf der andern Seite auf den Zaun, der den Waldweg begrenzt. Im übrigen ist es hier, wo ich lebe, so einsam wie auf den Prärien. Hier ist gerade so gut Asien oder Afrika wie Neuengland. Ich habe tatsächlich Sonne, Mond und Sterne – eine kleine Welt ganz für mich allein. Nachts kam nie ein Wandersmann an meinem Haus vorüber; nie klopfte einer an meine Tür. Ich hätte so gut der erste wie der letzte Mensch sein können. Nur imFrühjahr trafen nach langer Pause ein paar Menschen aus dem Dorf ein, um Bricken zu fischen; sie fischten augenscheinlich mehr in dem Waldenteich ihres eigenen Herzens und steckten die Finsternis als Köder an ihre Angelhaken. Nach kurzem Verweilen zogen sie jedoch meistens mit fast leeren Körben ab und überließen "die Welt der Finsternis und mir."
     
    So wurde der schwarze Kern der Nacht nie durch menschliche Nähe entweiht. Ich glaube die Menschen haben noch immer etwas Angst vor der Dunkelheit, obwohl alle Hexen gehenkt und Christentum und Kerzen eingeführt wurden.
     
    Meine Erfahrungen haben mich indessen gelehrt, daß der lieblichste und zärtlichste, der unschuldigste und erfrischendste Gesellschafter in irgend einem natürlichen Gegenstand gefunden werden kann, selbst für den menschenfeindlichsten, melancholischsten Menschen. Wer inmitten der Natur lebt und seine Sinne noch beisammen hat, der kann einer wirklichen, düsterschwarzen Melancholie nicht anheimfallen. Mögen auch noch so oft gewaltige Stürme toben, einem unschuldigen und gesunden Ohr klingen sie stets wie Musik – Äolsharfenmusik. Nichts kann einen einfachen, unerschrockenen Mann zu gemeiner Traurigkeit zwingen. Während ich mich der Freundschaft der Jahreszeiten erfreue, hoffe ich zuversichtlich, daß nichts mir das Leben zur Last machen kann. Der leise Regen, der meine Bohnen wässert und mich heute ans Haus fesselt, ist nicht langweilig oder melancholisch, sondern nutzbringend für mich. Zwar hält er mich ab meine Bohnen zu hacken, doch bringt er ihnen mehr Vorteil als mein Hacken. Sollte so viel Regen fallen, daß die Saat im Boden fault und die Kartoffeln im niedrig gelegenen Ackerland verderben, so wäre er noch immer eine Wohltat für das Gras an Hügelhängen. Ist er aber für das Gras gut, so ist er auch gut für mich. Wenn ich bisweilen zwischen mir und andern Menschen Vergleiche anstelle, so kommt es mir vor, als ob die Götter mich mehr begünstigt hätten als sie, weitaus über mein Verdienst – das weiß ich nur allzu gut. Mir ist, als hätte ich einen Erlaubnisschein, eine Garantie von ihrer Hand, die meine Mitmenschen nicht besitzen, so daß ich mich ganz besonderer Leitung und Fürsorge erfreue. Ich will mir selbst nichtschmeicheln, doch – wenn das überhaupt möglich ist – schmeicheln sie mir. Ich habe mich nur einmal einsam, oder durch das Bewußtsein der Einsamkeit bedrückt gefühlt. Das geschah, als ich erst einige Wochen im Walde wohnte. Damals war ich eine Stunde lang im Zweifel, ob nicht die unmittelbare Nachbarschaft eines Menschen zu einem friedvoll heiteren und

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