Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
gesunden Leben erforderlich sei. Damals war mir meine Einsamkeit unangenehm. Ich war mir übrigens zu dieser Zeit einer leichten seelischen Gleichgewichtsstörung wohl bewußt und schien meine Genesung vorauszusehen. Während leise der Regen niederfiel und solche Gedanken mich beherrschten, verspürte ich plötzlich, welch wohltuende und holde Gesellschafterin die Natur ist: am Fallen der Tropfen, an jedem Klang und Anblick um mein Haus herum. Eine unendliche, unerklärliche Freundschaft umfing mich plötzlich wie ein Dunstkreis. Die eingebildeten Vorteile menschlicher Nähe schwanden dahin und nie habe ich wieder an sie gedacht. Jede kleine Tannennadel dehnte sich aus, strömte über von Sympathie und wurde mir Freund. Selbst an Orten, die wir gewöhnlich als wild oder langweilig bezeichnen, fühlte ich deutlich, daß etwas mir Verwandtes in der Nähe sein müsse, daß das mir am meisten Blutsverwandte, das Menschlichste für mich nicht im Menschen, in einem Dorfbewohner zu suchen sei. Ja, ich glaubte, kein Ort könne mir je wieder fremd erscheinen.
"Zu früh verzehrt die Traurigen die Trauer!
"Ihr Erdenwallen währt nur kurze Frist,
"Du schöne Tochter Toskars."
Einige meiner angenehmsten Stunden verlebte ich im Frühling oder im Herbst während der langen Regenstürme, die mich sowohl vormittags wie nachmittags ans Haus fesselten, während ein beständiges Rauschen und Plätschern mich sanft umschmeichelte. Die früh hereinbrechende Dämmerung leitete einen langen Abend ein, an welchem viele Gedanken Zeit hatten Wurzel zu fassen und sich zu entfalten. Und wenn dann von Nordosten her die Regenstürme kamen und die Häuser im Dorf so arg bedrängten, daß die Mägde mit Scheuerlappen und Eimer an der Haustür standen, um die Sintflutnicht hereinzulassen, da saß ich hinter meiner Tür in meinem kleinen Hause, das nichts wie Eingang war und erfreute mich seines Schutzes in aller Ruhe. Während eines heftigen Gewitterschauers schlug einmal der Blitz in eine hohe Tanne und höhlte eine deutlich sichtbare und absolut regelmäßige spiralige Rinne aus, die (ungefähr einen Zoll tief und drei Zoll breit) vom Wipfel bis zur Wurzel sich erstreckte. Man dachte unwillkürlich an einen ausgekerbten Spazierstock. Erst kürzlich kam ich wieder an dem Baum vorbei; ich fühlte ein ehrfurchtsvolles Erschauern, als ich beim Hinaufblicken jenes Zeichen erblickte, das von dem fürchterlichen Donnerkeil kündete, der hier vor acht Jahren mit Allgewalt aus heiterem Himmel niederfuhr. Die Menschen sagten mir oft: "Sie fühlen sich gewiß recht einsam hier und möchten wohl gern, wenn es regnet oder schneit, und besonders in der Nacht näher bei ihren Freunden sein!" Solchen Leuten möchte ich am liebsten antworten: Diese ganze, von uns bewohnte Erde ist nur ein Punkt im Raum. Wie weit wohnen, Ihrer Ansicht nach, die beiden entferntesten Bewohner jenes Sternes auseinander, dessen Scheibendurchmesser mit unseren Instrumenten nicht einmal annähernd berechnet werden kann? Warum sollte ich mich einsam fühlen? Befindet sich unser Planet nicht in der Milchstraße? Die Frage, die Sie stellen, scheint mir nicht die wichtigste zu sein. Von welcher Art ist der Raum, der den Menschen von seinen Mitmenschen trennt und ihn einsam macht? Ich fand, daß keine Anstrengung der Füße zwei Seelen je einander um vieles näher brachte. In wessen Nähe möchte ich am liebsten wohnen? Sicherlich nicht in der Nähe vieler Menschen, des Bahnhofs, des Postamts, der Gastwirtschaft, des Versammlungshauses, der Schule oder des Gewürzkrämers, nicht in die Nähe von Beacon Hill oder von " Five Points" wo Menschen in Massen zusammenströmen! Nein, es zieht uns hin zum ewigen Quell, von dem, wie alle unsere Weisheit lehrt, unser Leben stammt. So sendete auch der Weidenbaum am Bachesrand ins Wasser seine Wurzeln aus. Verschiedene Individualitäten werden verschieden wählen, doch gerade hier wird ein weiser Mann seine Hütte bauen ... Ich überholte eines Abendsauf der Waldenstraße einen Bekannten aus dem Dorfe, der, wie man so sagt, "sein Schäfchen ins Trockne" gebracht hatte – auf mich machte es allerdings nie einen sauberen Eindruck. Er trieb gerade ein paar Ochsen zu Markte, und fragte mich, wie ich mich habe entschließen können, so vielen Annehmlichkeiten des Lebens zu entsagen. Ich gab zur Antwort, daß ich mich halbwegs wohl dabei befinde und durchaus nicht spaße. Ich ging dann heim ins Bett und er tappte seinen Weg durch Finsternis und
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