Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Klang; und darin liegt sein Zauber und sein Reiz. Es ist nicht nur eine Wiederholung dessen, was vom Glockenklang der Wiederholung wert war, sondern zum Teil die Stimme des Waldes. Zwar sind es die gleichen, verbrauchten Worte und Töne, doch werden sie von einer Waldnymphe gesungen.
Am Abend erklang das Muhen einer Kuh am Horizont jenseits der Wälder so lieblich und melodisch, daß ich es anfangs fälschlich für die Stimmen einiger Sänger hielt, die mir bisweilen eine Serenade gebracht hatten, und jetzt vielleicht über Berg und Tal wanderten. Doch bald wurde ich nicht unangenehm überrascht, als ich bei Wiederholungen fand, daß es sich um die wohlfeile und natürliche Musik einer Kuh handelte. Wenn ich erwähne, daß der Gesang der Jünglinge mir mit der Musik der Kuh verwandt zu sein schien, so will ich damit nichts Satirisches sagen, sondern nur meiner Wertschätzung jener menschlichen Stimmen Ausdruck verleihen.
Regelmäßig um einhalb acht Uhr, wenn der Abendzug vorübergebraust war, sangen während eines Teiles des Sommers die Tagschläfer eine halbe Stunde lang ihr Nachtgebet auf einem Baumstumpf neben meiner Tür oder auf dem Giebel meines Hauses. Sie begannen ihren Gesang mit derselben Pünktlichkeit wie eine Uhr: jeden Abend fünf Minuten nach Sonnenuntergang. Ich hatte eine seltene Gelegenheit mit ihrer Lebensweise vertraut zu werden. Bisweilen hörte ich vier oder fünf von ihnen in verschiedenen Teilen des Waldes, zufällig alle um einen Takt auseinander und so nahe bei mir, daß ich nicht nur das Glucken nach jedem Ton vernehmen konnte, sondern auch oftmals ein eigenartiges Summen, wie es eine Fliege im Spinnennetz erzeugt, – nur verhältnismäßig lauter. Manchmal flog solch ein Tagschläfer im Walde, nur einige Fuß von mir entfernt, immer im Kreise um mich herum, als ob er durch einen Faden mit mir verbunden sei. Ich war dann wahrscheinlich nahe beim Neste mit den Eiern. Diese Vögel sangen bisweilen mit gelegentlichen Unterbrechungen die ganze Nacht hindurch; trotzdem war ihr Gesang vor oder um Tagesanbruch noch ebenso melodisch wie zuvor.
Wenn die anderen Vögel schweigen, beginnen die Knarreulen ihren Gesang, wie Klageweiber ihr uraltes U–lu–lu ... Weise mitternächt'ge Hexen! Ihr jammervolles Angstgeschrei klingt ganz Ben Jonsonisch.
Nicht das muntere, derbe Uhui-Uhu der Poeten ertönt, sondern – ernstlich gesprochen – ein feierliches Kirchhofslied; man hört die gegenseitigen Tröstungen eines Liebespaares, das gemeinsam den Tod gesucht hat, und das in einem unterirdischen Totenhain sich der Qualen und Wonnen himmlischer Liebe erinnert. Und doch, ich höre ihr Trauerlied gern, die kummervollen Antworten, die am Waldesrand entlang schweben. Bisweilen werde ich dadurch an Musik und Singvögel gemahnt, an eine Musik der Schwermut und der Tränen, an ein unerfülltes Sehnen und Seufzen, das gern im Lied Erlösung finden möchte. Ja, diese Tiere sind die Geister, die Traurigkeit und die melancholischen Gedanken gefallener Seelen, die einst in menschlicher Gestalt nächtlicher Weile auf Erden wandelten und Taten der Finsternis vollführten, jetzt aber ihre Sünden durch Klageliederund Threnodien auf dem Schauplatz ihrer Verbrechen abbüßen. Die Mannigfaltigkeit und Größe der Natur, die uns allen Obdach gibt, rückt meinem Verständnis näher. "Oh–o–o–o, war' ich nie geb–o–r–r–r–ren," so jammert eine an dieser Seite des Teiches und kreist mit der Unrast der Verzweiflung zu einem andern Zweig der grauen Eichen. "Wär' ich nie geb–o–r–r–r–ren klagt eine andere am jenseitigen Ufer im ehrlichen Schmerz zurück, und "geb–o–r–r–ren" tönt es leise weither vom Lincolnwald ...
Auch von der Schreieule wurde mir häufig ein Ständchen gebracht. In der Nähe hätte man es für das melancholischste Lied der Welt halten können, – als ob sie hierdurch für alle Ewigkeit in der Sphärenharmonie das Stöhnen eines Sterbenden typisch charakterisieren wolle, eines sterbenden Menschen, in dem zwar noch ein schwacher, armseliger Lebensfunke flackert, der jedoch alle Hoffnung bereits hinter sich ließ, und jetzt, beim Betreten des dunklen Tales heult wie ein Tier, schluchzt wie ein Mensch. Und dieses Schluchzen wirkt durch eine gewisse gurgelnde Melodie nur um so furchtbarer. Will ich es charakterisieren, beginne ich instinktiv immer mit den Buchstaben "gl"; durch ihn wird jener Gemütszustand gekennzeichnet, wo bereits der Kern eines jeden
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