Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
gewöhnlichen Nächten dunkler im Wald als man gewöhnlich annimmt. Ich mußte häufig nach der Öffnung der Bäume über dem Pfad emporsehen, um meinen Weg zu finden, dort, wo es keine Fahrstraße gab, mit meinen Füßen die leichte Spur, die von mir selbst herrührte, fühlen oder durch den mir bekannten Abstand gewisser Bäume, welche ich mit den Händenfühlte, leiten lassen. So fand ich jedesmal, selbst in schwärzester Nacht zwischen zwei Fichten, die mitten im Walde nur ungefähr achtzehn Zoll von einander entfernt standen, mit Sicherheit meinen Weg. Wenn ich manchmal in finsterer, nebeliger Nacht, während meine Füße den Pfad fühlten, den meine Augen nicht sehen konnten, träumend und gedankenverloren den ganzen Weg zurückgelegt hatte, und erst durch das Heben der Hand zum Niederdrücken der Türklinke aufgeweckt wurde, dann war ich nicht imstande, mich auch nur an einen Schritt meines Heimweges zu erinnern. Dann kam mir der Gedanke: Dein Körper würde vielleicht allein den Heimweg finden, wenn sein Herr ihn verlassen würde. Es findet ja auch die Hand ohne Hilfe den Weg zum Munde. Mehrfach mußte ich diesen oder jenen Besucher, der zufällig bis zum Abend geblieben war, in dunkler Nacht bis zur Fahrstraße hinter meinem Hause geleiten, und ihm die Richtung, die er einzuschlagen hatte, angeben. Wollte er sie einhalten, mußte er sich mehr von den Füßen als von den Augen leiten lassen. In einer finsteren Nacht wies ich solchermaßen zwei junge Leute, die im Teich gefischt hatten, auf den Weg. Sie wohnten ungefähr eine Meile entfernt jenseits des Waldes und waren mit dem Weg vertraut. Einige Tage später erzählte mir einer von ihnen, daß sie den größten Teil der Nacht nahe bei ihrer Wohnung herumgetappt und erst gegen Tagesanbruch heimgelangt seien, völlig durchnäßt durch mehrere heftige Regenschauer und durch den beständigen Tropfenfall von den Blättern. Viele Leute sollen sich sogar in den Dorfstraßen verirren, wenn die Dunkelheit so dicht ist, daß man sie schneiden kann, wie man so zu sagen pflegt. Manche, die nicht weit außerhalb des Dorfes wohnten und zu Wagen hereingekommen waren, um Einkäufe zu machen, konnten in der Nacht nicht zurückkehren, ja einige Frauen und Männer, die irgend jemand besucht hatten, machten einen Umweg von einer halben Meile. Sie tasteten den Bürgersteig mit den Füßen entlang und wußten nicht, wann sie sich seitwärts zu wenden hatten. Verirrt man sich zu irgend einer Zeit im Walde, so wird man um eine ebenso überraschende und merkwürdige wie wertvolle Erfahrung bereichert. Tritt man in einemSchneesturm selbst bei Tage auf eine wohlbekannte Landstraße hinaus, so ist es nicht selten unmöglich zu sagen, in welcher Richtung das Dorf liegt. Wenn man auch auf derselben Straße tausendmal gewandert ist: jetzt erscheint sie einem so fremd, als ob sie in Sibirien wäre. Bei Nacht ist die Verwirrung natürlich bedeutend größer. Auf unseren Alltagswegen steuern wir beständig, wenn auch unbewußt, wie die Lotsen mit Hilfe von wohlbekannten Blinklichtern und Vorgebirgen, und selbst wenn wir vom gewohnten Kurse etwas abweichen, erinnern wir uns noch, wo irgend ein bekanntes Kap liegt. Erst dann, wenn wir völlig verloren oder herumgedreht sind – der Mensch braucht nämlich in dieser Welt nur ein einziges Mal mit geschlossenen Augen herumgedreht zu werden, um verirrt zu sein – lernen wir die Unermeßlichkeit und das Wunderbare der Natur schätzen. Beim Erwachen aus dem Schlaf oder aus irgend einer Abstraktion muß der Mensch jedesmal die Himmelsrichtungen von neuem lernen. Erst wenn wir verloren sind, mit anderen Worten, wenn wir die Welt verloren haben, fangen wir an uns selbst zu finden und einzusehen, wo wir sind und wie endlos weit unsere Verwandtschaft reicht.
Als ich gegen Ende des ersten Sommers eines Nachmittags zum Torf ging, um beim Flickschuster einen Schuh zu holen, wurde ich verhaftet und ins Gefängnis geführt. An anderer Stelle habe ich davon erzählt; ich hatte dem Staat eine Steuer nicht bezahlt, die Autorität des Staates nicht anerkannt, jenes Staates, der Männer, Frauen und Kinder wie ein Stück Vieh vor den Toren seines Senatsgebäudes kauft und verkauft. Es ist einerlei, wohin ein Mann geht: überall verfolgen ihn die Menschen, klammern sich an ihn mit ihren schmutzigen Institutionen und zwingen ihn, ihrer verzweifelten Maffia beizutreten. Ich hätte allerdings mit mehr oder weniger Erfolg gewaltsam Widerstand leisten, gegen die
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