Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Natur zu erkennen, jede ungemischte und jubelnde Freude zu teilen vermögen.
Poesie und Mythologie der Alten lassen wenigstens vermuten, daß Ackerbau einst eine heilige Kunst war. Wir aber treiben ihn mit unehrerbietiger Eile und Unachtsamkeit. Wir wollen nichts als Großgrundbesitz und große Ernten. Wir haben Viehausstellungen und Danksagungstage, aber keine Feste, Prozessionen und Zeremonien, durch welche der Landmann dem Gefühl der Heiligkeitseines Berufes Ausdruck verleiht oder an dessen heiligen Ursprung erinnert würde. Ihn reizen die Preise des Wettbewerbs und das Festessen. Er opfert nicht der Ceres und dem irdischen Jupiter, sondern dem höllischen Pluto. Durch Geiz und Egoismus und durch jene gemeine Gewohnheit: den Boden als Besitz oder vielmehr als Mittel zum Erwerb von Besitz zu betrachten – von dieser Schwäche ist übrigens niemand von uns frei – wird die Landschaft entstellt, die Landwirtschaft mit uns selbst entehrt und der Farmer zu einem wahren Jammerleben gezwungen. Er glaubt, die Natur sei nur seiner Räubergelüste wegen da.
Cato sagt, daß der durch Landwirtschaft erzielte Gewinn der unbefleckteste oder gerechteste sei ( maximeque pius quaestus ), und nach Varro nannten die alten Römer "die Erde sowohl Mutter wie Ceres; auch glaubten sie, daß diejenigen, welche sie bebauten, ein frommes und nutzbringendes Leben führten und die einzigen überlebenden Nachkommen des Königs Saturn seien."
Wir pflegen zu vergessen, daß die Sonne ohne Unterschied auf unsere bebauten Felder, auf Prärien und auf Wälder scheint. Alles absorbiert und reflektiert ihre Strahlen in gleicher Weise und die Felder sind nur ein Teil jenes herrlichen Bildes, das sie alltäglich auf ihrer Bahn erblickt. Für sie ist die Erde ein einziger wohlgepflegter Garten. Darum sollen wir die Wohltat ihres Lichtes und ihrer Wärme mit Vertrauen und Hochherzigkeit entgegennehmen. Was will es denn heißen, wenn ich diese Saatbohnen und ihren Ertrag im Herbste zu beurteilen vermag? Dieses große Feld, das ich so lange sorgsam betrachtete, betrachtet mich nicht als seinen Hauptpfleger, es blickt von mir fort nach Einflüssen, die ihm verwandter sind, die es wässern und grünen machen. Diese Bohnen werden nicht völlig von mir geerntet. Wachsen sie nicht zum Teil auch für die Murmeltiere? Die Weizenähre (lateinisch: spica , veraltet: spece , von spes = Hoffnung) sollte nicht des Farmers einzige Hoffnung sein. Ihr Korn oder Gran ( granum von gerendo = tragend) ist's nicht allein was sie trägt. Wie kann da eine Mißernte eintreten? Soll ich mich nicht auch über den Überfluß an Unkraut freuen,dessen Samen die Kornkammer der Vögel ist? Es ist verhältnismäßig gleichgiltig, ob die Felder des Farmers Scheunen füllen. Der echte Landmann wird sich nicht sorgen und sich, wie die Eichhörnchen, nicht darum kümmern, ob die Wälder in diesem Jahre Kastanien tragen werden oder nicht. Er wird getreulich Tag für Tag seine Arbeit verrichten, aller Ansprüche auf den Ertrag seiner Felder sich entschlagen, und nicht nur die ersten, sondern auch die letzten Früchte frohen Herzens opfern.
Das Dorf
Wenn ich vormittags gehackt, vielleicht auch gelesen oder geschrieben hatte, nahm ich meistens ein zweites Bad im Teich, schwamm hinüber nach einer der Buchten (das war mein "Deputat"), wusch den Arbeitsstaub von meinem Körper, glättete die letzten Falten, die das Nachsinnen dort zurückgelassen hatte und war dann für den Nachmittag vollkommen frei. Nicht selten schlenderte ich zum Dorf, um etwas Klatsch zu hören. Er wurde dort beständig fabriziert, ging entweder von Mund zu Munde oder von Zeitung zu Zeitung und wirkte, in homöopathischen Dosen genossen, auf seine Art ebenso erfrischend wie das Rascheln der Blätter oder das Geschwätz der Frösche. Wie ich in die Wälder spazierte, um die Vögel und Eichhörnchen zu sehen, so spazierte ich ins Dorf, um Männer und Frauen zu betrachten. Statt Waldesrauschen hörte ich hier Wagengerassel. Nach der einen Seite von meinem Hause aus befand sich eine Kolonie Bisamratten auf den Wiesen nahe am Fluß, nach der anderen Seite lag fern am Horizont unter Ulmen und Sykamorenwipfeln das Dorf voll geschäftiger Menschen; sie erregten meine Aufmerksamkeit in demselben Maße wie Präriehunde, die vor dem Eingang ihrer Höhle sitzen oder zum Nachbar laufen und klatschen. Ich ging oftmals dorthin, um ihre Gewohnheiten zu beobachten. Das Dorf war für mich ein großer
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