Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Waldesruh

Waldesruh

Titel: Waldesruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
Vom Netzwerk:
natürlich Angst, aber er klang ganz munter.« Ein schiefes Lächeln erschien auf Jannas Gesicht. »Ich glaube, der hält die Bande ganz schön auf Trab. Der Kerl bettelte fast, ob’s nicht etwas früher ginge.«
    »Und wann ist nun die Übergabe?«
    »Morgen früh um fünf am Steinbruch.«
    Emily nickte, während sich Verzweiflung in ihr breitmachte. An dem van Gogh hatte sie zwei Wochen gemalt, nahezu jeden Nachmittag.
    Wie sollte sie mit dem Picasso in wenigen Stunden fertig werden? Noch dazu unter diesem Druck? Jetzt erst fiel ihr auf, dass Marie nicht da war.
    »Wo ist Marie?«
    »Mal wieder joggen gegangen. Meinte, sie müsste mir sonst noch an die Gurgel gehen, wenn die nicht anrufen. Die hat einfach keine Nerven.«
    »Warum bist du eigentlich so gemein zu Marie?«, fragte Emily unwillkürlich. »Überleg doch mal, was sie durchmachen muss, wegen diesem Typen, den sie... erschossen hat. Statt sie zu trösten, musst du dauernd mit ihr streiten.«
    »Findest du, dass wir viel streiten?«, erwiderte Janna und es klang fast verblüfft.
    »Oh ja.«
    »Das kommt dir nur so vor, weil du keine Geschwister hast. Glaub mir, ich kenne Marie. Sie macht diese Sache mit sich selbst aus. Alle Nachfragen nerven sie nur. Das war schon immer so – auch als unsere Mutter in die Klinik kam.«
    »Kann sein«, lenkte Emily ein und seufzte. Vielleicht hatte Janna recht. Emily hatte in den letzten Tagen immer wieder versucht, mit Marie über das zu sprechen, was geschehen war, doch ihre Freundin hatte abgeblockt.
    Mutlos stieg sie die Treppe wieder hinauf.
    »He, Emily!«
    »Was ist?«
    »Es tut mir leid wegen heute Morgen. Das war nicht so gemeint. Du bist ein prima Kumpel.«
    »Schon gut, ich hab’s nicht so ernst genommen«, versicherte Emily, aber sie freute sich über Jannas Entschuldigung. »Ich mach dann mal weiter.«
    »Kann ich dir was bringen? Kakao? Schokolade? Ein Leberwurstbrot?«
    »Ja«, sagte Emily. »In der Reihenfolge.«
    Emily malte ununterbrochen bis zum Abendessen. Dafür gönnte sie sich eine halbe Stunde Pause. Marie war längst wieder zu rück. Sie hatte die Nachricht von dem Anruf schweigend aufgenommen und auch sonst war sie sehr still und wirkte abwesend. Sie schien sich große Sorgen um ihren Bruder zu machen.
    »Ich bin dafür, dass wir Axel hinzuziehen«, sagte Janna und erklärte auch gleich, warum: »Wenn wir denen das Bild gegeben haben und die uns Moritz, dann müssen wir sofort verschwinden. Und bestimmt nicht auf einem Fahrrad. Wir brauchen ein Auto und einen Fahrer.«
    »Wieso? Du kannst doch fahren«, entgegnete Marie.
    Janna schüttelte den Kopf. »Ja, aber stell dir nur mal vor, wir geraten auf dem Weg zum Steinbruch in eine Polizeikontrolle. Soll ich denen dann sagen: ›’tschuldigung, ich hab’s eilig, mein Bruder ist eine Geisel und soll gleich gegen einen selbst gemalten Picasso getauscht werden‹?«
    Eine Polizeikontrolle früh um fünf auf der kurzen Strecke von hier bis zum Steinbruch schien Emily nicht sehr wahrscheinlich, aber sie sagte nichts. Vielleicht hatte Janna doch mehr Angst, als sie zugab.
    Auch Marie schwieg und nickte nur müde. Anscheinend war den beiden notorischen Streithennen die Kraft ausgegangen.
    Emily ging wieder nach oben. Ihr war flau im Magen. Immer noch hatte sie das Gefühl, dass die ganze Verantwortung auf ihr lastete. Jannas Worte hatten ihr erneut den ganzen Irrsinn ihrer Unternehmung vor Augen geführt. Sie dachte an ihren Entschluss von heute Vormittag: zuerst das Bild malen und dann die Polizei anrufen. Jetzt, wo man Ort und Zeit der Übergabe wusste...
    Nein, das konnte sie nicht tun! Konzentrier dich, Emily, ermahnte sie sich selbst.
    Seufzend musterte sie ihr Bild.
    Den Hintergrund hatte sie bereits fertig, auch Teile der Klei dung des Mannes. Zum Glück hatte sie noch vor den Ferien neue Farben gekauft, sodass das Blau wohl ausreichen würde, wenn sie sparsam damit umging. Wenn nur das Foto nicht diesen lästigen Rotstich hätte! Emily hätte einiges drum gegeben, die Farben des Bildes im Original zu sehen. So musste sie auf ähnliche Werke im Internet zurückgreifen und hoffen, die richtigen Farbtöne zu treffen. Beim Hochfahren des Computers kam ihr der Gedanke, der Polizei eine E-Mail zu schicken und darin anonym Zeit und Ort der Übergabe bekannt zu geben. Aber die würden das bestimmt für einen Scherz halten. Oder sie würden die IP-Adresse des Computers herausfinden und dann hier aufkreuzen, womöglich mit Sirene und Blaulicht. Viel zu

Weitere Kostenlose Bücher