Waldos Lied (German Edition)
die Gnade, die er Rudolf erwiesen hatte.
Abgelenkt durch das Getuschel der Frauen, hatte ich nicht bemerkt, dass Abt Warinharius sich dem Herzog genähert hatte, um ihn mit allen ihm zustehenden Ehren zu empfangen. Die Worte seiner Begrüßungsrede verklangen durch die Entfernung und erreichten mich nur bruchstückhaft. Ich hörte das Wort Genf, die Lobpreisung Gottes für einen großen und gerechten Sieg und beobachtete, dass er die Gemahlin Rudolfs kurz, aber ehrerbietig willkommen hieß. Daraufhin richtete sich mein Blick sofort wieder auf Adelheid von Rheinfelden. Ich sah nur aus den Augenwinkeln, dass sich der Herzog, behende wie ein junger Mann, vom Pferd schwang. Dabei ging er bald auf die vierzig Lenze zu und hatte seine Lebenskraft in vielen Schlachten und Scharmützeln verbraucht. Dazu gehörten wohl nicht nur die Kämpfe von Mann zu Mann, sondern auch so manch anderes Ringen mit einem Weib, bei dem Rudolf seine eigene Lanze immer wieder unverdrossen ins Ziel gebracht hatte. Zumindest erzählten sich die Leute das. Einem Mönch wären solche Worte in Gegenwart eines Novizen freilich niemals über die Lippen gekommen. Trotzdem wusste ich natürlich, was Männer und Frauen miteinander taten. Ein wissbegieriger Jüngling findet immer jemanden, der ihn auf eine Weide führt und ihm zeigt, was ein Stier mit einer Kuh treibt.
Doch an diesem Tag richtete ich meine Aufmerksamkeit nicht auf diesen auf mich verlebt und alt wirkenden Herzog. In den Augen der Jugend ist ja jeder alt, der der eigene Vater sein könnte. Meine Blicke hingen wie gebannt an dem eleganten Bild, das die junge Herzogin bot, als sie sich mit Hilfe des Pagen trotz ihres gesegneten Leibes graziös vom Pferd gleiten ließ. Sie konnte nicht viel älter sein als ich selbst. Der Page, oder Kuno, wie die Weiber meinten, hatte für sie mit beiden Händen einen Tritt gebildet, auf den sie ihren Fuß setzte. Erneut wünschte ich mir mit der brennenden Sehnsucht eines Knaben, der an der Schwelle zum Mannestum steht, an seiner Stelle zu sein.
In diesem Moment bemerkte ich einen kleinen dunkelhaarigen Mann mit ledriger Haut, der mich anstarrte. Er stand einige Meter neben mir, ebenfalls in der ersten Reihe. Alle anderen schauten hinüber zu den erlauchten Gästen, doch ihm schienen diese vollkommen gleichgültig zu sein. Er sah nur in meine Richtung. Für einen kurzen Augenblick dachte ich, es läge eine Frage in seinen Augen. Ich richtete mich so gerade auf, wie ich konnte. Wenn er sich schon eine Monstrosität wie mich genauer betrachten wollte, dann sollte er sie auch in ihrer vollen Größe sehen. Ich starrte herausfordernd zurück. Da wandte er seinen Blick zur Seite, und ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die schöne Herzogin, zufrieden, dass mir dieses Spiel gelungen war. Ich hatte es mehr als satt, mich für meine Statur zu schämen. Als ich später wieder in die Richtung schaute, in der er gestanden hatte, war er verschwunden. Ich vergaß ihn bald darauf. Es gab zu viele, die mich so anschauten. Doch die meisten taten es wenigstens verstohlen.
Die nächsten Stunden vergingen wie im Traum. Nichts zählte für mich als der Anblick der schönen Herzogin. Jede ihrer Gesten, wie sie den Kopf neigte, wie sie sich bewegte, alles rief ich mir auch noch lange nach dem Besuch immer und immer wieder in Erinnerung.
In der folgenden Nacht wälzte ich mich auf dem einfachen Lager in meiner Zelle in dem Haus hin und her, das gebaut worden war, als die Mönche aus Rheinau die Cella Alba von St. Blasien übernommen hatten. Draußen heulte ein mächtiger Sturm. Er pfiff durch die Ritzen der Wände und rüttelte an den hölzernen Balken des alten Gebäudes. Mehr als einmal schrak ich schweißgebadet aus einem Alptraum hoch, an dessen Inhalt ich mich jedoch nie erinnern konnte. Nur spielte sie, die Liebliche, jetzt eine Rolle darin und nicht die alten, grauenvollen Schemen, die mich sonst immer in Angst und Schrecken versetzten. Wenn ich heute an den darauffolgenden Morgen und an den Tag der Weihe der Michaelskapelle zurückdenke, dann ist es immer ihr Gesicht, das sich als erstes klar aus dem Nebel der Erinnerungen löst.
An dem Tag der Kapellenweihe damals ereignete sich aber noch etwas, das mein Leben vollständig verändern sollte. Eigentlich war es eher eine unbedachte Narretei. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, dann schäme ich mich noch heute dafür. Der Geltungsdrang eines Heranwachsenden, verletzter Stolz, die Angst vor dem Spott der anderen
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