Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
Tyr-Ziu.
Dieser Gott des Krieges ist gewissermassen eine vereinzelte Seite Odins, der ja auch, unter andern Bedeutungen, die eines Gottes des Kampfes hat, sofern er die Kampfeswut einhaucht, Schlachtordnungen erfindet und stellt, Kriegspläne entwirft und den Sieg verleiht. Daher heiss Tyr ein Sohn Odins, d. h. ein einzelner Ausfluss seines Wesens, wie der Götterglaube dies Verhältnis auszudrücken liebt, und Odin trägt mancherlei mit Tyr zusammengesetzte Namen: z. B. Hreida-tyr, Hanga-tyr usw.; Tyrs Mutter bleibt ungewiss, vielleicht die Erdgöttin.
Tyr ist nun aber recht eigentlich der Kriegskampf selbst, er ist ein Schwertgott; daher wird er unter dem Zeichen des Schwertes dargestellt. Er war ohne Zweifel der Gott, welchen das suevische Volk der Quaden anrief, indem es bei "gezogenen Schwertern, welche sie wie Götter verehren", eidete; natürlich haben die Quaden nicht ihre eignen Waffen angebetet, sondern das Schwert war nur dem Kriegsgott heilig und sein Wahrzeichen. Daher heisst er geradezu auch Heru, d. h. Schwert, woher Cherusker und Heruler ihren Namen führen, wie die Suardonen von "Schwert". Daher wird er, weil das Schwert nur eine Klinge hat, einarmig dargestellt; wir werden sehen, bei welchem Anlass er den andern Arm eingebüsst hat. Auch sein Name: Saxnôt bei den Sachsen, Saxneat bei den Angelsachsen geht hierauf: der "Sachs" oder "Sahs" ist das "Kurzschwert" (im Gegensatz zu dem "Langschwert", der spatha), das ursprünglich, in der Steinzeit, aus Stein bestand (sahs, Stein, Fels, vgl. lateinisch Saum).
Der nordische Name Tyr bedeutet: "leuchtend" (gotisch Tius) und spriesst aus der gleichen Sanskritwurzel, aus welcher griechisch Zeus, lateinisch Djus-pater (Jupiter, Genit. Jovis, statt Djovis) stammen; auch die griechischen und lateinischen Wörter für Gott (theos, deus), dann lateinisch dies, Tag, althochdeutsch Ziori (Zier) sind verwandt, vielleicht war Tyr ursprünglich auch ein Gott des Himmels, daher der "Glänzende".
Er war so wichtig, dass, wie Wotan dem Mittwoch (Wodans-dag, neuenglisch: Wednesday), Donar dem Donnerstag, er dem Dienstag den Namen gegeben hat. Dieser hat mit Dienen nichts zu schaffen und ist nicht etwa gar Diensttag zu schreiben; sondern ist nordisch Tys- (Genit. von Tyr) dagr, alamannisch Zies-Tag (von Ziu, Zio; daher hiessen die Schwaben Ziu-wari, Ziusmänner, ihre Hauptstadt Augsburg: Zies-Burg), bayerisch Er-Tag, Erch-Tag, von Eru, vielleicht daher auch die sächsische Eresburg nahe der Irminsul, welche aber auch Heres- und Meresburg heisst. Er war der Schwaben-Alamannen besonders gefeierter Gott, wie schon früher der Tenchterer, welche einen Hauptbestandteil der späteren Alamannen ausmachten. Daher gleicht auch die Rune, welche Tyrs Name bedeutet, dem Schwert: î, ähnlich die angelsächsische Rune Eor, d. h. Eru; dieses zaubermächtige Zeichen ward in Waffen geritzt oder gebrannt als Siegrune. Das Wort "Zeter", "Zetergeschrei" geht auf Ziu zurück, d. h. ursprünglich den Kriegsgott anrufen, den Waffenruf erheben bei plötzlich drohender Gefahr. Manche Berge waren ihm geweiht; in Ortsnamen tönt er fort, der Seidelbast (daphne mezereum) hiess ursprünglich "Zio-linta"; den heutigen Ausdruck hat erst die Volks-Wortdeutung aufgebracht, als man den Sinn des alten Namens vergessen hatte. Im christlichen Mittelalter ist an seine Stelle der schwertschwingende Erzengel Michael getreten, dessen zweischneidiges Schwert zu Valenciennes aufbewahrt und unter kriegerischen Spielen in Aufzügen umhergetragen ward; die altgermanischen Schwerttänze wurden wohl zu Ehren des Schwertgottes abgehalten. Dagegen lässt sich nicht nachweisen, dass die zahlreichen Spuren von Verehrung gewisser Schwerter und die Sagen von "Siegesschwertern", welche sich bei vielen Völkern finden, immer germanisch seien und auf Ziu zurückweisen; so das Schwert Attilas, welches ein Hirt in der Erde vergraben fand (eine Kuh, die sich daran verletzt, hatte durch Hinken darauf aufmerksam gemacht –) und dem Hunnenchan brachte, der es als das Schwert des Kriegsgottes erkannte, durch welches er nun unbesiegbar sei; noch spät wird von diesem Schwert gefabelt; nach der Schlacht bei Mühlberg soll es Karls V. gefürchteter Feldherr, der Herzog Alba, wieder aus der Erde gegraben haben. In Köln ward in dem Tempel des Mars das Schwert Julius Cäsars aufbewahrt; dieser Römertempel ward später eine Kapelle des Erzengels Michael, dessen Bild mit dem des Mars auf beiden Seiten dieser Strasse
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