Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
Gestalt eines Menschen über die Erde hin und kam abends zu einem Riesen Ymir. Am andern Morgen machte der sich fertig, aufs Meer hinaus zu rudern zum Fischfang. Thors Bitte, ihn mitzunehmen, weist er zuerst recht geringschätzig ab: "Wenig wirst du mir helfen, Bürschlein, bist ja so klein und jung. Auch wird dich frieren, fahre ich so weit hinaus und bleibe ich so lang draussen, wie ich pflege." Thor ärgerte sich furchtbar; am liebsten hätte er den groben Lümmel gleich totgeschlagen; aber er bedachte, dass er ja Grösseres vorhabe, und erwiderte nur: seinetwegen möge der Riese nur so weit hinausfahren, wie er wolle; es werde sich erst noch zeigen, wer von beiden zuerst nach der Rückkehr verlangen werde. Da sagte Ymir, er möge sich selbst einen Köder besorgen. Thor war nicht faul, ging hin, wo er Ymirs Rinderherde weiden sah, packte den grössten Stier, der "Himrisbriotr" (Himmelsbrecher) hiess, riss ihm das Haupt ab und nahm es mit in das Boot. Hier ruderte er mit zwei Rudern so gewaltig, dass Ymir zufrieden brummte und bald halten wollte; hier sei sein gewöhnlicher Fischplatz. Aber Thor fuhr lustig weiter; Ymir warnte, hier sei es bereits gefährlich – so weit draussen – wegen der Midgardschlange; allein Thor fuhr noch weiter, sehr zum Verdruss des Riesen, der vielleicht jetzt Gefahr für seine Gesippin ahnte. Thor zog nun die Ruder ein, steckte das Ochsenhaupt an einen gewaltigen Hamen, der an entsprechend starker Schnur hing, und warf aus. "Da mag man nun sagen," meint die Edda, "dass diesmal Thor die Midgardschlange nicht minder zum besten hatte, als er damals in Utgardlokis Halle war geneckt worden" – sie erblickt also in diesem Abenteuer die Vergeltung!
Kaum war der Hamen zu Grund gefahren, als die Schlange nach dem Ochsenkopf schnappte und die Angel ihr im Gaumen haftete; als sie das merkte, riss sie so stark, dass Thor mit beiden Fäusten auf den Schiffsrand geworfen ward. Da ward er aber sehr zornig, fuhr in seine Asenstärke (nahm nun vermutlich seine wahre, hochragende Göttergestalt an, wie aus dem Nächstfolgenden zu schliessen), sperrte sich so stark mit beiden Füssen gegen den Schiffsboden, dass er diesen durchstiess und sich nun auf den Grund des Meeres stemmte; so zog er die Schlange herauf an Bord; "und war das der schrecklichste Anblick, wie jetzt Thor die Augen gegen die Schlange schärfte, diese aber von unten ihm entgegenstierte und Gift wider ihn blies".
Da erbleichte der Riese und wechselte die Farbe vor Schrecken, als er den Drachenwurm sah, und wie die See im Boot aus- und einströmte; und als nun Thor den Hammer fasste und in die Luft schwang, das Scheusal zu zerschmettern, sprang der Riese herzu mit seinem Messer und zerschnitt Thors Angelschnur; die Schlange versank – gerettet durch ihren Gesippen – in die See; Thor warf ihr den Hammer nach, und die Leute meinen, er habe ihr da unter dem Wasser das Haupt abgeschlagen. "Aber ich glaube, die Wahrheit ist: die Midgardschlange lebt noch und liegt tief in der See," – eine Andeutung des letzten tödlichen Kampfes Thors mit ihr –, "Thor aber schwang gegen den Riesen die Faust und traf ihn so an das Ohr, dass er über Bord stürzte und die Fusssohlen sehen liess. Da watete Thor an das Land."
Anders gestaltet diese Sage ein jüngeres Lied der Edda, Hymis-Kwida. Danach stellt Ögir, der (riesische) Meergott, bei dem die Asen ein grosses Gastmahl halten wollen, die Bedingung, dass Thor, dem er wegen alter Händel grollt, den für das Brauen des Festbieres erforderlichen Kessel herbeischafft; wie auch sonst oft in Sage, Märchen und Schwank ist es bei solchem Auftrag, solcher Aussendung auf Abenteuer auf den Tod oder doch die Demütigung des Beauftragten abgesehen, aber das Werk schlägt zu einem Sieg, zu seiner Verherrlichung aus [Fußnote: So treffend Simrock, S. 308.] . Die Götter wissen keinen solchen Kessel und sind ratlos; da sagt dem Donnergott Tyr, der Kriegsgott (s. unten), sein Vater, der Riese Hymir, der im Osten der Eliwagar an des Himmels Ende wohne, habe einen meilentiefen Kessel, dessen man durch List sich wohl bemächtigen möchte. Thor und Tyr ziehen nun aus, den Kessel zu holen. Als sie in die Halle des Riesen treten, trifft da Tyr seine väterliche Grossmutter, die ihm leidige: "Sie hatte der Häupter neunmal hundert". Aber des Riesen junge Frau (doch wohl Tyrs Mutter), "allgolden, von lichten Brauen", empfängt sie wirtlich, rät jedoch sogleich, sich vorerst vor ihrem Gatten, wann dieser heimkehre,
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